Rezension

Faust

C'est Com...Com...Compliqué


Highlights: Kundalini Tremolos // Accroché À Tes Lèvres // C'est Com...Com...Compliqué // Petits Sons Appétissants // Bonjour Gioacchino
Genre: Krautrock
Sounds Like: Pendikel // Fridge // Ulan Bator // Neu! // Cluster // Can // Explosions In The Sky // Pivot

VÖ: 27.02.2009

Trotz des unbestreitbaren Einflusses auf Bands wie Einstürzende Neubauten, Radiohead, Secret Machines, Tortoise, Wilco, Mouse On Mars oder selbst The Fall schwingt in der Genre-Bezeichnung „Krautrock“ doch immer eine gewisse augenzwinkernde Komponente mit. Ebenso lässt sich festhalten, dass selbst unter Fans der angeführten Bands die Auseinandersetzung mit dem Krautrock um Gruppen wie Neu!, Cluster, Can, Harmonia oder Faust die Ausnahme bleibt. Wie die von ihnen inspirierten Bands besitzen auch die genannten Krautrock-Künstler einen weltweiten Ruf. So spielten Faust in den letzten Jahren Konzerte und Festivals von Brasilien bis Israel.

Auf „C’est Com…Com…Compliqué“ präsentieren sich die Gründungsmitglieder Jean-Hervé Peron und Werner Diermaier zusammen mit Amaury Cambuzat von Ulan Bator als Faust 2009. Das Album bewegt sich zwischen den bekannten Rhythmen, Harmonien, Melodien und Stimmungen des Postrock, die nicht primär rocken und rollen wollen, sondern insbesondere die Schaffung von Stimmungen anstreben, und einem avantgardistischen Klangverständnis, wie es auch Kieran Hebden mit Fridge antreibt. So entstehen Klangcollagen, die zuvorderst einen künstlerischen Musikbegriff transportieren, die aber immer einen poppigen Unterton beibehalten, die also in aller Expressivität einen hörbaren Charakter besitzen und den Hörer fesseln. Dies unterscheidet „CC…C…C“ zum Beispiel vom Fridge-Album „The Sun“.

Faust zeigen sich hier einerseits in der Tradition der eigenen Vergangenheit, knüpfen aber ebenso an die Klangästhetik des zeitgenössischen Postrock oder sogar Postcore an. Deren ekstatische Explosionen bleiben zwar eher selten, ihr Auftreten setzt jedoch zum Beispiel in „Bonjour Gioacchino” entscheidende Akzente. Im eröffnenden „Kundalini Tremolos“ fließen zwei heterogene Ströme aus vibrierenden Gitarren und stampfender perkussiver Rhythmik aneinander vorbei und werden durchbrochen und verbunden durch ein hektisches, erschöpftes Atmen. Die hypnotische Wirkung der Tremolos entspringt diesem Atmen in Verbindung mit den zerrenden Gitarren und der Monotonie des Taktes. „Accroché À Tes Lèvres“ setzt rauschend an diesem Punkt an, schiebt eine Orgelspur nach vorne, bevor die Basssaiten langsam erklingen, das Schlagzeug einzelne Akzente setzt und die Stimme langsam wieder zu Atem kommt. Sie beginnt zu sprechen, erhebt sich zu agitiertem Rufen, versucht zu besänftigen, wendet sich hierhin und dorthin, eskaliert im Einklang mit der Musik. Sie bestimmt das Stück.

Nach dem Zwischenspiel „Stimmen“ und vor dem ausbrechenden „Bonjour Gioacchino” findet sich als Kompensation „Petits Sons Appétissants“. Zauberhafter und kammermusikalischer Pop darf sich voller Glockenklänge, voller sanfter Klaviermelodien und voller harter Beckenschläge entfalten, um mittels des aufgepeitschten Monologs gebrochen zu werden. Der Kontrast zu „Bonjour Gioacchino” könnte kaum größer sein. Erst die Sanftheit, danach die expressive Postcore-Apokalypse. Verzerrt, verstolpert kämpfen Gitarre und Schlagzeug, um aufgesogen zu werden von einer aufstrebenden orchestralen Soundtrack-Inszenierung, die ein wagnerhaftes Ausrufezeichen hinter das „Bonjour“ setzt.

Zuvorderst schöpfen die drei Musiker auf „C’est Com…Com…Compliqué“ aus ihrer vorgetäuscht dilettantischen, aus ihrer improvisatorisch geprägten Vergangenheit. Mit Produzent Tobias Levin schaffen sie neun Stücke, die zumeist einen collagehaften Charakter aufweisen, aber dennoch als geschlossene Werke funktionieren. Die Instrumente werden eingesetzt zur Schaffung von Strukturen und Mustern, die variiert und wiederholt werden. So entsteht eine kraftvolle, intensive Atmosphäre, die den Hörer gefangen nimmt. Die Aufnahmen streben nach einer experimentellen, klanglich schweren, rhythmisch herausfordernden aber voller Harmonie seienden Musik. Verbunden mit meist französischen Vocals entsteht ein intensiver, musikalischer Sog. Das leicht poppige Element bricht den eigenen Kunstanspruch ironisch.

Wenn eine vorherrschende Eigenschaft des Albums benannt werden sollte, drängte sich der Eindruck einer rhythmischen Einfachheit und Langsamkeit auf, einer scheinbaren Monotonie der Regelmäßigkeiten der Stücke. Dieser Gleichklang gerät jedoch das Album durch laufend ins Stolpern, wird verzögert oder beginnt voranzupreschen. Die Variationen mögen subtil sein, doch bilden sie die Grundlage der Faszination, die „C’est Com…Com…Compliqué“ auszuüben vermag. Wie ihre Nachfolger und heute ebenso Vorgänger des Industrial verfügen die Musiker um das Wissen, dass im Grunde jeder Gegenstand als Instrument genutzt werden kann. So zieht der abschließende Titeltrack seine sofortige Faszination aus dem Quietschen eines defekten Einkaufswagens. Ebenso wissen Faust um die musikalische Macht der Stimme. Während dies zumeist in den rhythmisch akzentuierten, sich fließend entwickelnden Gesangs- oder Sprachspuren zum Ausdruck kommt, die mehr als Instrument, denn als Träger von Inhalt fungieren, kommen in erwähntem „Stimmen“ tatsächlich ausschließlich die Stimmbänder als menschliches Didgeridoo zum Einsatz. Die experimentellen Bestandteile der Faust’schen Musik im Jahr 2009 besitzen zumeist einen meditativen Charakter. Sie wirken in keiner Weise störend, sondern erscheinen vielmehr als logische zusätzliche Komponente der ebenso bezaubernd zierlichen, wie atemberaubend energetischen Arrangements.

Oliver Bothe

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