Rezension
Envy
Recitation
Highlights: Rain Clouds Running In A Holy Night // A Breath Clad In Happiness // 0 And 1
Genre: Post-Rock // Post-Core
Sounds Like: Explosions In The Sky // Isis // Long Distance Calling // Mono
VÖ: 22.10.2010
Gerade, weil wir sie als Europäer nicht verstehen, ist asiatische Kultur etwas besonders Tolles. Im Süden Chinas essen sie Hunde, ekeln sich aber vor Käse – Stichwort: vergammelte Milch. In Korea sind Zugsimulationen Verkaufsknaller unter Computerspielen, hierzulande würde man sowas nicht mal geschenkt annehmen. Und das Highlight: In Japan stellte eine Firma tatsächlich einmal Automaten für gebrauchte Damenunterwäsche auf. Die Sache fand nicht nur Spendenwillige, sondern auch haufenweise Abnehmer. Ob nun pervers, lustig oder einfach ersponnene Urban Legend: Skurril ist es in jedem Fall.
Und dann tauchen Envy auf – mitsamt japanischen Songtexten. Aber Leute, Mut zum Ungewissen: Ob Sänger Tetsuya Fukagawa nun über angebrannte Milch oder Gullideckel textet, wissen wir nicht. Die Emotionen, die sich bei ihm dabei entladen, lassen jedoch sofort einklinken: Erst säuselt er konzentrierten Sprechgesang, fast vollkommen fernab von allem, was Envy drum herum an weitläufigem, tief einatmendem Klangraum schaffen. Und im Moment des Aufbäumens brechen auch Fukagawas Dämme, wenn er beim Schreien klingt wie einer, der schon im siebten Kreis der Hölle geläutert wurde.
Tauchte der grandiose Vorgänger "Insomniac Doze" noch tief in den Post-Rock ein, öffnet sich "Recitation" nun größerer Dynamik – und zieht damit die Daumenschrauben der Intensität noch weiter an. Gedankt sei es einem Gitarrenpaar, das mit den ausgeklügelsten Harmonien und elegischsten Melodien dieses Jahr allein auf weiter Flur lag. Da öffnet sich das flotte "Rain Clouds Running In A Holy Night" ab der Hälfte einem Melodielauf, der zarter nicht sein könnte und bäumt sich in Handumdrehen wieder auf. "A Breath Clad In Happiness" mit seiner perfekten Dramaturgie hingegen sollten sich Kompositioslehrer schon mal als zukünftiges Musterstück vormerken. Mit Punkriffs überrascht das Quintett dann gar bei "Dreams Coming To An End", mit schunkelkompatibler Friedensmusik noch in "Light And Solitude".
"Recitation" schafft ein erhabenes Gefühl auf der Grenze von Melancholie zu Betroffenheit, das neu ist. Und im heftigen Finaltrack "0 And 1" solange in höhrere Gipfel abwandert, bis die Luft förmlich brennt und kein Sauerstoff zum Atmen mehr da ist. Da mag ein Gitarrenlauf schon mal kitischig wirken ("Light And Solitude") oder manchem In- und Outro dieser Platte zu pathetisch daher kommen: Envy reißen die Grenzen des Landes ein, das sie lange nur erkundeten. Für die Band ist "Recitation" ein Entdeckungssmarsch auf dem eigenen Tellerrand. Für uns hingegen ist diese intensive, harte, wunderschöne und schmerzverzerrte Platte eine emotionale Brücke nach Fernost. Zur Zugsimulation kann es nun auch nicht mehr weit sein.
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