Rezension
Elbow
The Seldom Seen Kid
Highlights: Mirrorball // Weather To Fly // The Loneliness Of The Tower Crane Driver // Friend Of Ours
Genre: Pop
Sounds Like: Doves // I Am Kloot // Turin Brakes // The Dears
VÖ: 25.04.2008
Wenn man nicht schon ohnehin den Glauben an Gerechtigkeit in der Musikindustrie verloren hat, so muss man diesen spätestens im Falle Elbow gehörig anzweifeln. Wie kann es sein, dass eine Band, die bisher drei Alben veröffentlicht hat, die allesamt Meisterleistungen waren, immer noch so schändlich ignoriert wird? Wo ist der Lohn für unzählige Songs, die emotionale Ebenen erreichen, die für unzählige Bands für alle Zeiten verschlossen bleiben? Wann bekommt Guy Garvey endlich den Nobelpreis für außergewöhnliche Leistungen in zeitgenössischer Poplyrik? Alles Fragen, deren Antworten irgendwo in einem Sumpf aus kommerziellen Nonsensalben und raffgierigen Labelbossen begraben liegen.
Die Konsequenzen haben Elbow schon längst gezogen. „The Seldom Seen Kid“ wurde komplett in Eigenregie aufgenommen, produziert und auch mit vertrieben. Die Enttäuschungen der vergangenen Releases sitzen sogar so tief, dass das nunmehr vierte Studioalbum gleichzeitig auch das letzte sein soll, welches in regulärer Form erscheinen wird. Will heißen: in Zukunft werden wir Elbow-Veröffentlichungen aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch nach Radiohead´schem Vorbild erwarten dürfen.
Den Abgesang von der kommerziellen Bühne hätten sich Elbow sicherlich auch in einem positiveren Kontext vorgestellt, denn „The Seldom Seen Kid“ ist in erster Linie eine Widmung an den kürzlich verstorbenen Songwriter Bryan Glancy, einen engen Freund der Band. Wenig verwunderlich daher, dass das Album düsterer und schwermütiger ausgefallen ist, als es nach eigener Bandaussage ursprünglich geplant war. Aber gerade diese Konzentration auf die Melancholie des Abschiednehmens, und auch Neubeginns, ist es, die Elbow sich auf die nächste Ebene hieven lässt. Zusätzlich liefert die Band einen Geniestreich in Sachen Instrumentierung und Produktion ab, die die Daseinsberechtigung eines jeden Produzenten ernsthaft infragestellt. Schlichtweg umwerfend, welch wunderschöne klangliche Welten Elbow offenbaren und das in Zeiten, in denen man dachte, die Grenze des akustisch Möglichen seien schon längst erreicht.
Alles beginnt mit reduzierter Percussion und einem sich immer wiederholenden Soundloop. Dann plötzlich Fanfaren und Guy Garvey begrüßt uns mit seiner unverwechselbaren Stimme. „Starlings“ ist ein typischer Einstieg in ein Elbow-Album. Etwas schüchtern und trotzdem fesselnd. „The Bones Of You“ markiert im Anschluss eine hübsche Uptempo-Nummer, die später noch einmal durch den schmutzigen Bluesstampfer „Grounds For Divorce“ getoppt wird. Das erste große Highlight stellt aber „Mirrorball“ dar. Sanft gezupfte Akustikgitarre und Piano breiten einen weichen Teppich aus, den wunderbar arrangierte Streicher noch weiter ausstaffieren. Und dann halt noch diese Stimme, man kann es gar nicht oft genug wiederholen. Da wünscht man sich als Mann glatt eine Frau zu sein, wenn Garvey für seine Angebetete sogar den Papst warten lässt: „If she says she needs me / Everbody’s gonna have to wait“ („An Audience With The Pope“).
Aber auch so macht ein Song wie „Weather To Fly“ den Tag für jedermann schöner. Regelrecht optimistisch wirkt dieser im Vergleich zum nachfolgenden „The Loneliness Of A Tower Crane Driver“. Titel und Songempfinden lagen selten näher beieinander. Die Stärke von Elbow, nämlich die Balladen, zeigen sich nicht nur hier wieder offensichtlich. Auch „Same Riot“, in dem Garvey gesangstechnisch eine unglaubliche Vorstellung abgibt und das speziell an den verstorbenen Freund gerichtete, ungeheuer traurige „Friend Of Ours“ reihen sich nahtlos an ältere Meilensteine wie „Red“, „Switching Off“ oder „Great Expectations“ an.
Nur ein einziges Mal tanzen Elbow aus der Reihe und hinterlassen einen winzigen Schönheitsfehler. „The Fix“ mit Crooner-Legende Richard Hawley gerät zu einem bierseligen Duett, welches so gar nicht in den Gesamtkontext von „The Seldom Seen Kid“ passen will. Ansonsten liefern Elbow ihr mit Sicherheit reifstes Werk ab, welches sich endgültig von den Art-Rock-Wurzeln der Vergangenheit verabschiedet und einfach nur noch wunderschöner Pop sein will. Vierter Streich in Folge. Gewonnen.
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