Rezension

Einstürzende Neubauten

Alles wieder offen


Highlights: Nagorny Karabach // Let's Do It A Dada // Susej
Genre: Industrial-Pop
Sounds Like: Nine Inch Nails // Nick Cave & The Bad Seeds // Depeche Mode

VÖ: 19.10.2007

Die Revolution der Distribution, die dieser Tage Radiohead zugesprochen wird, betreiben die Einstürzenden Neubauten mit ihrer Homepage und ihrer Supporter-Plattform bereits seit 2003. So erscheint dann das aktuelle „öffentliche“ – soll heißen, nicht nur den Unterstützern zugängliche – Album „Alles wieder offen“ auch in Eigenverantwortung.

Nicht zuletzt durch Blixa Bargelds Mitwirkung bei Nick Caves Bad Seeds gewannen die Neubauten in den 90ern an Zugänglichkeit. Der industrielle Lärm, die Provokation, der „kunsthistorische“ Ekel der Raupe Neubauten aus den 80ern verpuppte sich und ein schillernder, doch nicht weniger interessanter Schmetterling schlüpfte. Geprägt von Bargelds Gesang beweist auch ihr neues Album den Ausnahmestatus der Band. Düster atmosphärisch versponnene musikalische Kunstwerke, in denen sich Lyrics und Instrumentierung kongenial symbiotisch verbinden, wie bei kaum einer anderen Band. Da führt der vorab kostenfrei verfügbare Track „Weil Weil Weil“ mit seiner bis in die 80er zurückweisenden Neubauten-Ästhetik fast auf die falsche Spur, handelt es sich bei ihm in seiner monotonen, klassisch industriellen Präsentation doch zum einen um eine Ausnahme auf dem Album und zum anderen um den schwächsten Song auf „Alles wieder offen“.

Neben der Wahl „unmusikalischer“ Mittel zur Instrumentierung prägte immer Blixa Bargelds Umgang mit Sprache die Musik der Neubauten. Funktionell sowohl Instrument als auch Bedeutungsträger transportieren Gesang und Texte nicht nur Stimmungen, sondern auch künstlerischen Anspruch der Band. Obwohl sie weiterhin den Charakter von Kunstwerken besitzen, funktionieren Songs wie „Nagorny Karabach“, „Ich hatte ein Wort“, „Von Wegen“ oder „Let’s Do It A Dada“ vor allem als Pop-Songs. Pop-Songs, die in der globalisierten, vernetzten Pop-Welt tatsächlich das Potential besitzen, den Einstürzenden Neubauten eine Erweiterung ihrer Fanbase zu ermöglichen. Wo Musikhörer vielfach die Genregrenzen ohne Bewusstsein der Selben überschreiten, wo zwischen Depeche Mode und Nine Inch Nails – die beide klanglich eh als Nachfolger gelten dürfen – Platz für Bright Eyes und Radiohead ist, brauchen sich die Neubauten um ausreichend Aufmerksamkeit für „Alles wieder offen“ kaum Sorgen machen.

Natürlich mag sich der ein oder andere fragen, ob die präsentierte Konstanz in Ästhetik und Attitüde nicht langsam langweilig werden sollte – den Künstlern oder den Hörern gleichermaßen. Dem steht entgegen, wie mitreißend, faszinierend und einsaugend die Arrangements einen packen und in die Tiefe stürzen, wie überzeugend die Einstürzenden Neubauten ihren Fall und ihre Position vertreten. Denn alles ist wieder offen.

Oliver Bothe

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