Rezension

Colin Stetson

New History Warfare Vol. 3: To See More Light


Highlights: Brute // Among The Sef // To See More Light
Genre: Avantgarde // Experimental
Sounds Like: Nothing Else

VÖ: 03.05.2013

So manch einer wird sich beim Namen Colin Stetson am Kopf kratzen und angestrengt überlegen, woher er einem so bekannt vorkommt. Tatsächlich werden wohl viele – wenn auch unbewusst – schon von ihm gehört haben, ist er doch seit langen Jahren der Go-To-Guy von Tom Waits und solch namhaften Indie-Größen wie Arcade Fire, The National, Feist, TV On The Radio oder auch Bon Iver. Dass der virtuose Saxophonist in seiner Wahlheimat Montreal mittlerweile auch drei wahrlich revolutionäre Soloalben aufgenommen hat, dürfte den meisten wiederum – trotz verdienter Shortlist-Nominierung für den renommierten Polaris Prize – völlig entgangen sein.

Wer beim Stichwort Saxophon-Soloalbum nun direkt an Kenny G oder Jazz-Legenden wie Charlie Parker und John Coltrane denken muss – manchen kommt sicherlich auch unweigerlich George Michaels unsägliches „Careless Whisper“ in den Sinn –, wird mit Colin Stetson sein blaues Wunder erleben. Denn der Mann spielt nicht nur Saxophon, wie es kein anderer tut, er macht auch noch Musik, die gleichzeitig fordert, fasziniert, verstört und völlig fassungslos macht. Sein neuestes Werk „New History Warfare Vol. 3: To See More Light“ bildet dabei den Abschluss einer im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Trilogie. Denn wie schon die beiden Songzyklen zuvor wurde auch das neue Album, welches diesmal durch ungewohnt tönende Gast-Vocals von Bon Ivers Justin Vernon aufgepeppt wurde, live und ohne jegliche Loops oder Overdubs aufgenommen. Das wird nicht nur aus Stolz immer wieder explizit erwähnt, sondern auch, weil man es beim Hören solch unbeschreiblicher Songs wie dem 15-minütigen Titeltrack niemals für möglich halten würde und erst dann so richtig glaubt, wenn man Bewegtbilder des Mannes in Aktion gesehen hat.

Stets durch die Nase atmend und ohne jemals wirklich abzusetzen, spielt sich Stetson immer wieder zunehmend in Rage, während er gleichzeitig durch sein Instrument „singt“ und mit wohlbedacht platzierten Mikros gezielt allerhand Nebengeräusche wie das rhythmische Klappern der Saxophonklappen einfängt. Auf diese Weise schafft er nicht nur einen verblüffend dichten und einzigartigen Sound, der von Jazz genauso inspiriert zu sein scheint wie von Minimal Music, Ambient, Metal, Industrial und Drone, sondern auch eine unnachahmliche Atmosphäre, die beim ersten Hören vielleicht noch etwas befremdlich wirkt, mit Zeit und Geduld aber unweigerlich in ihren Bann zieht.

Wenn Stetson also auf Konzerten vor dem evokativen „High Above A Grey Green Sea“ die wahre Geschichte von einem einsamen Wal erzählt, dessen Gesänge in fünfzehn Jahren von keinem anderen Wal erwidert wurden, weil er auf einer anderen Frequenz singt und daher von seinen Artgenossen nicht verstanden wird, liefert er seinen Hörern zu diesem wunderbaren Song nicht nur das perfekte Bild vor Augen, sondern bringt damit in gewisser Weise auch seine eigene Rolle in der Musikwelt auf den Punkt. Denn was er auf „New History Warfare Vol. 3: To See More Light“ und seinen Vorgängern allein aus Alt-, Tenor- und seinem so herrlich dröhnenden Bass-Saxophon an rhythmischer Melodiösität und beeindruckenden Stimmungsbildern herausholt, ist derart außergewöhnlich, dass es für die überwältigende Mehrheit einfach nicht zu begreifen ist. Für alle anderen ist "New History Warfare" eine einzige Offenbarung.

Paulina Banaszek

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