Rezension
Cat Power
Sun
Highlights: Cherokee // Ruin // Human Being // Nothin But Time
Genre: Singer-Songwriter // Elektropop
Sounds Like: Fiona Apple // PJ Harvey // Sophie Hunger
VÖ: 31.08.2012
Chan Marshall war schon immer eine Künstlerin, deren Musik sehr genau widerspiegelte, wer sie eigentlich ist. So fanden ihre chronische emotionale Labilität und all die anderen persönlichen Dämonen, mit denen sie jahrelang zu kämpfen hatte, bislang stets in äußerst intim, ehrlich und zerbrechlich wirkenden Alben ihren Ausdruck und machten sich noch dazu auch auf der Bühne immer wieder – meist unangenehm – bemerkbar. Ihr neuestes Werk „Sun“, die erste eigens komponierte Cat-Power-Platte seit dem wahrlich großartigen „The Greatest“ vor sechs Jahren, zeugt klanglich wiederum von der geläuterten und mittlerweile sehr viel ausgeglicheneren Chan Marshall, die es offenbar endlich geschafft hat, sich von ihrer turbulenten Vergangenheit freizuschwimmen, ihre Ängste in den Griff zu bekommen und ihr Leben wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Die innere Sehnsucht danach, sich neu zu erfinden, muss es wohl auch gewesen sein, die Marshall in den elf neuen Songs musikalisches Terrain betreten ließ, das mit ihrem bisherigen Schaffen kaum etwas gemeinsam hat. So sucht man rohe, entblößte Emotionen, zumindest in der Form, wie man sie von ihren Vorgängern kannte und schätzte, auf „Sun“ eher vergeblich. Denn anstatt sich mit ihrer so berührenden Stimme abermals hinter schwermütigen und aufs Wesentliche reduzierten Arrangements zu verkriechen, scheint Marshall das Gefühl neugewonnener Freiheit („We’re free with me, we can finally run”) vielmehr in vollen Zügen zu genießen. Sie tobt sich endlich mal so richtig aus und wandelt dabei über das gesamte Album hinweg erstaunlich selbstsicher und erhobenen Hauptes auf dem schmalen Grad zwischen Kunst und Künstlichkeit.
Die Künstlichkeit rührt zum einen von den sehr dominierenden Synthies und Elektrobeats, mit denen sie hier bis zum Äußersten herumexperimentiert, zum anderen aber auch von dem gezielten Einsatz von Autotune. Wie sie mit all diesen neumodischen Sounds und Effekten im Alleingang derart souverän und effektiv umzugehen und ihren Songs dadurch waschechten Pop-Appeal einzuflößen weiß, ohne dass man ihr jemals Seelenlosigkeit vorwerfen könnte, ist wiederum eine Kunst, die nur die wenigsten beherrschen. So muss man selbst dann, wenn man Chan Marshalls Stimme lieber unverzerrt lauscht und Drum-Computern nicht viel abgewinnen kann, zweifellos anerkennen, dass in Songs wie dem zu Beginn leicht interpolesk anmutenden Opener „Cherokee“ mit seiner New-Wave-Gitarre oder auch der lateinamerikanisch angehauchten Ohrwurm-Single „Ruin“ einfach alles stimmt – so befremdlich sie zunächst auch klingen mögen.
Trotz offensichtlicher Wendung zum Guten in Marshalls Leben und ungewöhnlich vielen Uptempo-Nummern auf dem Album, ist „Sun“ aber noch lange kein ausgesprochen sonniges Album. Denn auch wenn „3,6,9“ musikalisch im Grunde fast genauso leichtfüßig daherkommt, wie Feists „1 2 3 4“ vor ein paar Jahren, reicht es schon, ein wenig genauer hinzuhorchen, um an Lyrics wie „I feel choke, emotionally broke / In the gutter, and I’m still lookin‘ down“ zu realisieren, dass man Traurigkeit nicht einfach so von heute auf morgen durch verträumtes „freeeee“-Säuseln ablegen kann. So wird auch vor eher düsteren Songs mit metallisch klingenden und Industrial-Assoziationen hervorrufenden Synthies und Rhythmen („Sun“, „Always on my Own“) nicht zurückgeschreckt.
Den großen Höhepunkt der Platte bilden am Ende dann aber doch wieder zwei ausgesprochen positiv gestimmte Hymnen an das Leben. Denn das zupackende „Human Being“, das ein wenig so klingt, wie man sich Sophie Hungers nächstes Album erhofft, und die unverblümte David-Bowie-Hommage „Nothin But Time“ mit Großmeister Iggy Pop, warten beide mit ausgesprochen lebensbejahenden Texten auf („You gotta right to be whatcha want and where you wanna be / You wanna live!“), die endgültig zementieren, was sich Chan Marshall offenbar zu ihrem neuen Lebensmotto gemacht hat: “It’s up to you to be a superhero”. Oder wie man im Deutschen so schön sagt: Jedes ist seines Glückes Schmied.
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