Rezension

Bon Iver

For Emma, Forever Ago


Highlights: Flume // Skinny Love // The Wolves (Act I and II) // For Emma // Re: Stacks
Genre: Singer-Songwriter // Folk
Sounds Like: Ed Harcourt // Loney, Dear // Bonnie 'Prince' Billy // Grizzly Bear // Sun Kil Moon // TV On The Radio

VÖ: 16.05.2008

Drei Monate sollen es gewesen sein, allein in der Jagdhütte seines Vaters im Nordosten von Wisconsin. Drei Monate Kälte, Schnee, Einsamkeit. Drei Monate Winter. Er hat Holz gehackt, damit es nicht zu kalt wird, hat gejagt, damit er nicht verhungert, und er hat eine Hirschschulter verkauft, um eine Gitarrenreparatur zu bezahlen. Er hat in dieser Zeit der völligen Isolation ein Album aufgenommen. Er heißt Justin Vernon, versteckt sich aber hinter dem Pseudonym Bon Iver. Vom französischen "bon hiver". Auf Deutsch: guter Winter. War es ein guter Winter?

Sagen wir so: Natürlich ist diese Geschichte fast zu beeindruckend, um wahr zu sein, aber mit dem Album verhält es sich ja genauso. Und das wiederum ist vielleicht nur der Fall, eben weil die Geschichte wahr ist. Auf der ersten Seite des Booklets sieht man ein Foto von einem kleinen Fluss, auf dem große Eisschollen schwimmen. Dahinter helle Gräser, einige Nadelbäume, ein paar kahle Laubbäume vor hellblauem Himmel. Wäre vielleicht das bessere, weil noch passendere Albumcover gewesen, denn genau so - und nicht etwa grau - klingt "For Emma, Forever Ago". Aber mal ehrlich: Ich hab vielleicht Probleme.

Das Album hat einen von den ersten vier Zeilen an fest im Griff: "I am my mother's only one/ it's enough. / I wear my garment so it shows/ now you know." Wann hat ein so melancholisches Singer-Songwriter-Album zuletzt so selbstsicher angefangen? Und auf die Gänsehaut-Eröffnung "Flume" folgen acht weitere Songs auf (fast) selbem Niveau. Erst "Lump Sum", der schnellste Song des Albums, der ein wenig an Loney, Dear erinnert, dann "Skinny Love", das Vergleiche mit Ed Harcourts Großtaten nicht zu scheuen braucht.

Darauf folgt "The Wolves (Act I and II)", das die Aufteilung in Act I and II eindeutig verdient hat: Nach zweieinhalb ruhigen Minuten wiederholt Vernon immer wieder: "What might have been lost - don't bother me." Dabei steigert sich der Song stetig, bis ein Schlagzeug - oder ein Dutzend - kurz davor ist, außer Kontrolle zu geraten. Und das alles nur, um am Ende doch wieder zu der Zeile zurückzukommen, mit der "The Wolves" begonnen hatte: "Someday my pain, someday my pain will mark you." So abgedroschen es auch klingen mag: Ja, man könnte so weiter machen, bis man beim letzten Song "Re: Stacks" angekommen ist.

Die Klasse von "For Emma, Forever Ago" hat zwei einfache Gründe: Erstens hat Justin Vernon großartige Songs geschrieben, und zweitens wurde er vom lieben Gott mit einer Stimme gesegnet, die wahrscheinlich aus jedem guten Album schon ein sehr gutes gemacht hätte. Tunde Adebimpe von TV On The Radio könnte man als Referenz nennen. Macht ja auch fast jeder, aber: Vernons Stimme bleibt einzigartig. Das gilt auch für "For Emma, Forever Ago", das die Messlatte für neue Singer-Songwriter-Alben verdammt hoch legt. Daher ist es auch völlig egal, dass die oben erzählte Geschichte nicht ganz wahr ist: "Some small amount of additional recording done on Fairall, Raleigh, North Carolina." Aber wer möchte schon die Background Vocals von Christy Smith auf "Flume" oder die Trompeten auf "For Emma" gegen das kleine bisschen Wahrheit eintauschen?

Mario Kißler

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