Rezension

Ben Caplan

Old Stock


Highlights: You've Arrived // Truth Doesn't Live In A Book // Widow Bride // Fledgling
Genre: Klezmer // Folk
Sounds Like: Tom Waits // Nick Cave // Kaizers Orchestra

VÖ: 15.06.2018

Geschichte wiederholt sich. Und deswegen ist Kritik am Zeitgeschehen oft gerade dann am effektivsten, wenn sie in Erzählungen von ähnlichen Ereignissen in der Vergangenheit verpackt wird. Beispiel Flüchtlingssituation: Im deutschsprachigen Raum wurde etwa Kettcars „Sommer '89“ von Kritik und Fans hochgelobt, das die Geschichte eines Fluchthelfers gegen Ende der DDR-Zeit erzählte. Ben Caplan hat der Geschichte eines jüdischen Pärchens, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Rumänien nach Kanada emigriert, gleich ein ganzes Musical gewidmet. „Old Stock“ versammelt die Songs dieses Musicals.

Wie sich das nicht nur aufgrund der Thematik gehört, sondern auch in Anbetracht einer gewissen Grundmelancholie, die der osteuropäischen Klezmer-Musik seit jeher innewohnt, ist „Old Stock“ beizeiten todtraurig. Das beinahe noch mehr, wenn es in „Fledgling“ die Sorgen derjenigen, die ihre Heimat für eine ungewisse Zukunft verlassen, in die Metapher einer migrierenden Vogelfamilie verpackt. So gibt es auch innerhalb der Zunft der musizierenden Rauschebartträger nur wenige, die so croonen können wie Ben Caplan, was gerade in der tonnenschweren, zähen Abschlussballade „What Love Does Heartbreak Allow“ deutlich wird.

Was Caplan mindestens ebenso sehr kann, ist erzählen. Sollte Morgan Freeman irgendwann einmal den Weg der Gerechten gehen, könnte der Kanadier problemlos zum charismatischsten Doku-Sprecher der Welt aufsteigen. Bis dahin begnügt er sich damit, in zwei Intermezzos die Geschichte des jüdischen Pärchens zu erzählen. Eins dieser Zwischenstücke lässt er in „The Truth Doesn't Live In A Book“ übergehen, eine fast schon parodistisch schunkelnde Ansammlung praktischer Lebensweisheiten, wie etwa, dass Mann sein Teil nie ohne Zustimmung reinstecken und seinen Tequila nie ohne Salz nehmen sollte. Wie ernst der Stoff auch ist, den Schalk wird sich Caplan nämlich nie aus dem Nacken schlagen können. So überzeugt „Old Stock“ auch gerade dann, wenn die bedrückte Stimmung wie in „You've Arrived“ urplötzlich einer durchgeknallten Zirkusatmosphäre Platz macht oder einfach anderthalb Minuten lang ein Hochzeitslied gefiedelt wird. Denn was kritisieren will, muss nicht per se durchgängig todernst sein – vor allem nicht, wenn es so gut ist wie alles, was der immer noch junge Tausendsassa Ben Caplan bislang geschaffen hat.

Jan Martens

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