Rezension

Audio88

Der Letzte Idiot


Highlights: Der Letzte Idiot // Arbeit Essen Seele Auf // Fusionbändchen // Schicksalsschlägereien
Genre: Deutsch-Rap
Sounds Like: Grim 104 // Maeckes // Edgar Wasser

VÖ: 17.10.2014

Auf Dinnerparties, bei Brunches und – machen wir uns nichts vor – auf jeder (!!!) anderen Party wäre Audio88 ziemlich sicher der am ungernsten gesehene Gast. Dieser Umstand ist nicht nur dem fehlenden (weil nicht bekannten) Vor- und Nachnamen geschuldet. Vielmehr wäre er derjenige Gast, der alle anderen so lange mit oberflächlichen oder tiefgründigen (it’s all about perspective) Argumentationen und Beobachtungen nervt und auch dann nicht aufhört, wenn diese ihm wohlwollend Recht geben, um sich endlich in Ruhe ihren Eiern Benedikt widmen oder endgültig im Glas Federweißer ertrinken zu können. Aber sie ist auch wirklich nervig, diese Emo-Brillenschlange mit Baseballcap, die nicht mal einen 16er rhymen kann (oder will?) und wirklich zu jedem Thema klugscheißert (oder den Finger in die Wunde legt?).

Audio88 ist sicher nicht das, worauf Rap-Deutschland gewartet hat. Rumpelige Beats, keine Reime, die Stimme in anklagender Tonalität und alle unangenehmen Themen dieser Welt auf dem Scheißetablett. Aber er ist das, was Rap-Deutschland braucht. Aus der Rolle des Außenseiters heraus muss er die Gesellschaft gar nicht großartig analysieren, um zu provozieren. Die ungeschminkte, unverblümte Wahrheit des Ist-Zustandes – völlig unironisch und nur gelegentlich leicht überspitzt – reicht völlig aus. „Die Wahrheit kann keinen beleidigen, nur bloßstellen“ ("Schicksalsschlägereien") sagt er selber und deutet damit unmissverständlich auf sein eigenes Erfolgsrezept hin. „Der Letzte Idiot“ stellt uns alle bloß. Wir alle sind gemeint in den aggressiven, ungefilterten Ausführungen von Audio88: Mario Barth, Stefan Raab, die FDP, Katrin Bauerfeind, du und ich. Politik, Ignoranz, Desinteresse, Armut, Ausbeutung, fehlender Intellekt und Dialekt – der Finger steckt tiefer in der Wunde, als wir es uns wünschten. Es ist unangenehm und gleichzeitig sind wir gefesselt, können nicht weghören, sind der Wahrheit ausgesetzt. Zielstrebig führt er die gesamte Gesellschaft auf die Anklagebank, nur um sie ethisch und moralisch bloßzustellen, ihr den Spiegel vorzuhalten und zu sagen: „Das hier ist kein Rap. Das hier ist real. Das ist die Welt. Und du bist Schuld, dass es so ist!“.

Wenn es in diesem Jahr einen Beweis dafür gegeben haben sollte, dass Punk nicht tot ist, dann diesen. Audio88 ist der „Spast“, der mal wieder ausspricht, „was alle Spasten denken“ ("Arbeit Essen Seele Auf"). Dabei ist er nicht lustig und selten übertrieben clever oder hochgradig sophistisch. Wäre am Ende ein Aufbruch zu spüren, ein „aber wir können das ändern“, könnte man Audio88 in die Reihe der Protestbarden á la Rio Reiser einordnen. Das Zeug dazu hätte er. Aber darauf hat er keinen Bock. Er beobachtet lieber und knallt es uns vor den Latz. Dinge, die wir grundsätzlich eh schon wissen, ahnen, aber verdrängen. Unverblümt, ungekünstelt, unpathetisch und unsympathisch. Und gerade deswegen ist „Der letzte Idiot“ eine wichtige und gute Platte. Weil sie Rap ein Stückweit zu seiner eigentlichen Intention zurückführt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich jeder Rezipient mit dem Ansatz der Interpretation in die Reihe der Spasten einreiht, die diese Welt so unerträglich machen. Doch dann sei es so, denn wir wissen ja spätestens jetzt: es geht nicht ums Beleidigen, sondern um die Wahrheit. Dass er dabei ganz nebenbei die fabelhaftesten Federmäppchen-Leitsätze für die künftigen Anprangerer, Bloßsteller oder vielleicht sogar doch irgendwann mal Weltveränderer liefert? Geschenkt!

Andreas Peters

Hören


"Fusionbändchen" von Audio88

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!