Rezension

A Hawk And A Hacksaw

Cervantine


Highlights: No Rest For The Wicked // Cervantine // Lazslo Lassú
Genre: Balkanfolk // Klezmer // Mariachi
Sounds Like: Beirut // Black Ox Orkestar // DeVotchKa

VÖ: 15.02.2011

Wieso hat sich eigentlich die völlig unhaltbare Dichotomie zwischen Authentizität und Professionalität derart hartnäckig in der Popmusik festgekrallt? Warum sollte eine krude, dilettantische Kelleraufnahme besser, authentischer (sprich: ehrlicher) als ein auf Hochglanz polierter Tanzbodenfüller sein? Sind das nicht alles bloß aufgesetzte und frei gewählte Erscheinungsformen, hinter denen jeder Künstler sich versteckt? Hält man trotzdem an der Gegensätzlichkeit fest, so wäre natürlich die Folkmusik die authentischste von allen, schließlich werden hier sämtliche Kriterien “authentischer” Musik wie Nähe zur Mündlichkeit, Ablehnung einer plakativen Virtuosität und Anspruch auf universelle, fundamentale Wahrheiten erfüllt. Die Balkanfolkband A Hawk and a Hacksaw müsste also demnach literweise Glaubwürdigkeit ausschwitzen. Eine Milchmädchenrechnung?

A Hawk and a Hacksaw stammen aus Albuquerque, New Mexico, und Bandkopf Jeremy Barnes, eines der beiden festen Mitglieder der Gruppe, ist vor allem durch seine vorherige Tätigkeit als Drummer von Neutral Milk Hotel und die frühe Förderung von Zach Condons Beirut-Projekt aufgefallen. Das mittlerweile fünfte Album "Cervantine" sollte deshalb Eingeweihte nicht überraschen: Hier dienen weniger einheimische Prärie- und Wildwestklänge als die aufreibende, hitzige osteuropäische und türkische Tanzmusik zum Vorbild. Im Gegensatz zu den an westlichen Songkonventionen festklammernden Beirut sind A Hawk and a Hacksaw viel ursprünglicher, exotischer und unberechenbarer. Wahre, authentische Balkanmusik.

Und musikalisch ist das, was hier in acht Stücken präsentiert wird, auch hervorragend. Der Opener “No Rest For The Wicked” ist durch seine zahlreichen Dynamik- und Tempowechsel von einer paranoiden, zwingenden Hektik durchströmt. Der vielschichtige Song schafft damit den seltenen Spagat zwischen Komplexität und sofortiger Faszination. Erstmals beschränken A Hawk and a Hacksaw auf "Cervantine" ihre Einflüsse nicht bloß auf den Balkan. Jeremy Barnes übernimmt hier verstärkt Elemente aus der geographisch doch näherliegenden mexikanischen Tradition, wie der Einsatz von Mariachi-Bläsern auf “Espanolo Kolo” zeigt. Trotzdem ist das Lied immer noch durch und durch östlich, diese kleinen und im Hörkontext schlüssigen Ergänzungen sind doch hauptsächlich kosmetischer Natur. Verschnaufpause bietet nur das getragene, introvertierte “Lazslo Lassu”, welches wohl die osteuropäische Version eines klassischen Westernsongs darstellt. Ansonsten fegt das Album in 40 Minuten wie ein Derwisch durch das Kopfkino des Zuhörers.

Wer sich nun wegen der doch recht schrägen Paarung von Balkan-Pop und Albuquerque die Äuglein bereits wund gerieben hat, bekommt seine Zweifel bestätigt. Irgendwie wirkt das, was A Hawk and a Hacksaw hier abliefern, doch recht fake. Gerade die wenigen gesungenen Lieder wie “Mana Thelo Enan Andra” unterstreichen dies. Nicht nur, dass sie in einer für ein anglophones Publikum unverständlichen Sprache vorgetragen werden, auch interessiert es zu keinem Zeitpunkt, um welche es sich nun eigentlich handelt. Dadurch geht "Cervantine" eines der wichtigsten Merkmale der Folkmusik abhanden: die Botschaft. Gerade Folk lebt von musikalischer Narration, doch a Hawk and a Hacksaw enthalten ihrem westlichen Publikum dieses Element vor. Hier geht es leider in erster Linie um eine erzwungene Exotik, um ein Simulacrum des Balkan-Folk. Warum also nicht gleich eine echte osteuropäische Klezmer-Band anhören? Die sind wenigstens authentisch. Haha.

Yves Weber

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