Interview

Neonschwarz


Wie lebt es sich eigentlich in der fiktiven Stadt "Metropolis"? Und welche Scheinriesen müssen Neonschwarz in der Realität überwältigen? Welche coolen Rapperinnen sind zur Zeit in Hamburg angesagt und mag die Rap-Combo Neonschwarz eigentlich lieber Schlager oder Zeckenrap? Fragen über Fragen, alle beantwortet in unserem Interview mit dem neonschwarzen Block.

Tourauftakt in Bielefeld, das "Nummer zu Platz" sieht heute mal besonders schön aus, denn Neonschwarz haben ihre eigene Bühnendeko mitgebracht. Die bunt bemalte MS Flora macht ordentlich Lärm und Dampf auf der Bühne, Neonschwarz heizen dem Publikum ebenfalls ein. Vor dem herrlichen Bühnenbild rappen und singen Johnny Mauser, Marie Curry und Captain Gips circa 90 Minuten lang, machen politische Ansagen und halten die Party konstant am laufen. Spion Y steht hinterm Schiff, in das die Turntables eingebaut sind, und haut die passenden Beats raus.

Bevor das alles passiert, sitzen "Der Lustige", "der Antifa" und "das Mädchen" mit uns im Interview, während "der DJ" noch für einen stimmigen Sound sorgt. Wer ist denn nun eigentlich der Lustige und wer der Antifa, wie sie sich in "Das Goldene Ticket" selbst benennen? "Der Lustige ist der Captain und ich bin der Antifa", meint Johnny Mauser. Dabei sind alle in der Band total witzig und linkspolitisch orientiert auch. Aber nun gut, dann bekommt Johnny die schönen Antifa-Sticker. Darauf zu sehen sind die Slogans: "I ♥ Riot", "Nationalistische Kackscheiße" und "... ist für mich Abfall". Was halten die drei generell von solchen Stickern? Marie: "Grundsätzlich finden wir Sticker super, vor allem eignen die sich perfekt, um andere rechte Sticker zu überkleben." Und was würde die Band ins freie Feld als "Abfall" eintragen? Johnny: "Ich glaube, aktuell könnte man da ziemlich viel als Abfall eintragen. Den Rechtsruck, den es europaweit und weltweit gibt, oder ob man nun Homophobie oder Rassismus da einträgt... es gibt gerade krass viele Baustellen, was wir auch in einigen unserer Songs ansprechen. Gerade hat man das Gefühl, dass es sich durch die anstehenden Wahlen nochmal verstärkt."


Foto-Credit: Lukas Haese

Mit ihren Songs und vor allem mit den Shows erreichen Neonschwarz viele Menschen, denen sie ihre politischen und menschlichen Botschaften mit auf den Weg geben. Oft bekommen sie danach positive Rückmeldungen über die Wirkung ihrer Musik. Leute erzählen ihnen, dass sie sich dank ihnen getraut haben, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu outen oder selbst politisch aktiv geworden sind. Dennoch hat die Band nun nicht die Illusion, dass sie allein mit ihrer Musik alles verändern kann. Aber das wird sie nicht davon abhalten, alles zu kritisieren, was falsch läuft: "Der Song 2015 ist schon eher negativ und pessimistisch. Das, was darin angesprochen wird, hat sich noch eher verfestigt." Darum werden Neonschwarz nun auch von allen Seiten gefragt, ob es für das vergangene Jahr auch einen Song "2016" geben wird. Aber Neonschwarz sehen sich nicht als diejenigen, die, wie bei RTL, nach jedem Jahr einen Rückblick mit den Schlagzeilen des Jahres geben. "Wir können gar keinen Rückblick für 2016 schreiben, weil man das nicht in Worte fassen kann, wie schlimm es geworden ist", meint Captain Gips und Johnny Mauser ergänzt: "Wir fahren umher und treffen überall Leute, die etwas Positives ausstrahlen, was verändern wollen. Es ist ja nicht so, dass man das Gefühl hat, man ist nur von trotteligen Zombies umgeben. Wenn man aber die Zahlen anguckt und sieht, wie viele die AfD wählen, macht es einem schon Gedanken."

Nicht nur über politische Themen machen sich Neonschwarz Gedanken, sondern auch über die Zukunft der Musikindustrie. Einerseits wird es als schade empfunden, dass die Wertschätzung für Musik, für ein einzelnes Album, abgenommen hat, andererseits befürworten sie die Verfügbarkeit von so viel Musik und auch die Möglichkeit, mit Talent und den einfachsten Mitteln groß raus zu kommen, indem man seine Songs zum Beispiel bei YouTube hochlädt. "Es gibt aber auch Sachen, die du nicht streamen kannst." Was halten denn die Musiker_innen von der Idee, dass es bald Virtual-Reality-Konzerte geben soll? "Das finde ich ganz schlimm!", sagt Marie Curry und die anderen beiden stimmen zu. "Und für die Band ist dann auch das Publikum animiert!", schlägt Captain Gips amüsiert vor und alle müssen bei der Vorstellung lachen. "Bei Konzerten ist es schon ein spezielles Erlebnis, das man durch die Leute bekommt, wenn man die Energie von denen kriegt...", argumentiert Marie für echte Konzerte. "Mach mal einen Virtual Reality Stagedive, dann reden wir weiter, ob das eine gute Idee ist!", meint Johnny dazu und alle sind sich einig, dass echte Konzerte nicht zu ersetzen sind.

In den Songs geht es bei Neonschwarz häufig um das Ausbrechen aus dem Alltag, das Bewältigen von Ängsten und auch ganz konkret um das Bekämpfen von "Scheinriesen". Wann haben die drei selbst zuletzt Scheinriesen bewältigt, und welche waren das? Johnny Mauser: "Der Song basiert auf persönlichen Erlebnissen. Den Scheinriesen macht aus, dass er von weit weg her ganz groß wirkt und, je dichter man ran geht, immer kleiner wird." Wenn man sich also ran wagt, an die Probleme, die einem erst einmal nicht zu bewältigen erscheinen, kann man es schließlich doch schaffen. "Aber akut in letzter Zeit habe ich keine Scheinriesen bewältigt", erzählt Johnny Mauser. "Total glücklich!", sagt Marie mit leichter Ironie dazu und alle müssen lachen. Und Captain Gips? "Also, wenn dann eher so finanzielle Scheinriesen." – "Die Scheine und Riesen!", wirft Johnny ein. "Ich bin dabei, den zu bewältigen, aber so klein ist der Riese auch noch nicht." Was da helfen kann? Dass mehr Leute zu Neonschwarz-Konzerten gehen und die Band supporten!


Foto-Credit: Lukas Haese

Alleine von der Musik leben können Neonschwarz also noch lange nicht. Was machen sie also im "normalen" Leben, um über die Runden zu kommen? Marie: "Ich mache das Gleiche, was ich jetzt mache, nur eher von der anderen Seite, also eher auf der organisatorischen Ebene." Johnny: "Ich bin Künstler und male professionell Fassaden und Wände an." Captain: "Ich bin Sozialarbeiter und mache Hausaufgaben mit Jugendlichen oder spiele mit denen. Bringe geflüchteten Kindern Deutsch bei und sowas." Captain hat in seiner Arbeit mit Jugendlichen auch schon mal Rapworkshops gegeben und Spion Y hat DJ-Workshops gegeben, vor allem für Menschen, die sich so etwas erst einmal nicht zutrauen. "Wir haben das in einem eher coolen Umfeld gemacht, wo man sich wohl gefühlt hat. Und da haben sich vor allem auch viele Frauen angemeldet und mitgemacht. Wenn du sonst in die Hip-Hop-Szene guckst, gibt es halt kaum Frauen, weil die sich in dieser Macker-/Männer-Domäne vielleicht gar nicht trauen." Darum ist es großartig, dass Neonschwarz auch die Mädchen und Frauen empowern und selbst mit Marie Curry als Rapperin ein gutes Vorbild sind.

Welche anderen weiblichen Personen gibt es denn noch zur Zeit im Rap? "In Hamburg ist es ganz interessant zu sehen, was um Haiyti passiert. Die haben wir auch letztens live gesehen und fanden sie super. Ace Tee kommt auch aus Hamburg. Da bin ich total gespannt, was da jetzt passiert, denn man kennt nur einen Song von ihr", erzählt Marie. Ace Tee ist nun schon auf dem Titelblatt des aktuellen Missy Mags gelandet und wird als eine der Hoffnungsträgerinnen in der Rapmusik gefeiert. "Trotzdem ist es so, dass, wenn man sich die Gesamtzahl der deutschen Hip-Hop-Artists anschaut, Frauen immer noch einen sehr, sehr kleinen Anteil einnehmen. Wäre cooler, wenn es anders wäre." Darüber ist sich die Band einig.

Durch den Song "Kinder Aus Asbest" haben Neonschwarz aber auch schon ein wenig für den weiblichen Nachwuchs im Hip Hop gesorgt. Dort singt ein Chor von Mädchen, die zufällig auch bei St. Pauli im Mädchenteam trainieren. Wie ist es dazu gekommen? "Das waren eher persönliche Kontakte. Die eine hatte uns schon mal als Schülerreporterin interviewt und sie verfolgt das, was wir machen, anscheinend sehr begeistert. Sie hat dann halt drei Freundinnen mitgebracht und das war unser Chor", erzählt Marie.


Foto-Credit: Lukas Haese

"Metropolis" heißt das neue Album von Neonschwarz und spielt in der fiktiven gleichnamigen Stadt. Mit dem ebenso betitelten Song der Ruhrpott AG von 2001 hat das aber genauso wenig zu tun wie mit dem legendären Stummfilm aus den 20er Jahren. Wobei die RAG früher durchaus von Neonschwarz gehört wurde und auch hin und wieder von Spion Y gesampelt wird. "Es ging uns um ein unkonkretes Bild einer Stadt, das sich füllen lässt", meint Marie. Wie kann man es denn füllen? Wer lebt in Metropolis, welche Regeln gelten dort? "So konkret nicht, wir haben keinen Regelkatalog aufgestellt", meint Captain. "Aber wir haben uns schon mit so Themen wie Mietpreisen, wo können Geflüchtete leben und so beschäftigt, es soll aber nicht so greifbar sein, dass die Leute denken, wir haben uns mit Hamburg beschäftigt", sagt Johnny. "Ich hab letztens gedacht, dass es schön wäre, wenn es wirklich in jedem Viertel so Stadtteilläden geben würde, wo Leute sich treffen, Kinder aus Familien ohne Kohle Essen bekommen, wo Bildungsangebote stattfinden. Solche Stadtteilläden müsste es aber überall geben, nicht nur in den sozial schwachen Stadtteilen. Das wäre aber jetzt schon ein sehr konkreter Wunsch", meint Marie.

Vom Konkreten zur Science-Fiction: Vom Interview mit Lilly Among Clouds gibt es von eben der eine Frage für die nächsten Künstler_innen: "Wo würdest du lieber wohnen, auf dem Mond, in einem Raumschiff mit Captain Spock persönlich, oder in der Matrix die blaue Pille nehmen?". Johnny Mauser meint: "Also, entweder 'ne blaue Pille nehmen und auf 'ne Technoparty gehen, oder im Raumschiff mit Captain Gips sein!", und lacht dabei. Captain Gips selbst und Marie Curry sind auch fürs Raumschiff, wenn es denn genügend Platz für Auslauf und ausreichend Proviant und coole Leute an Bord hat. Und welche Frage stellen Neonschwarz fürs nächste Interview?

"Wollen wir einfach aufschreiben: 'Wie seid ihr auf euren Namen gekommen?'", schlägt Johnny vor und alle prusten los. Die Frage mussten Neonschwarz einfach schon viel zu häufig beantworten, also wollen sie auch niemand anderem antun sie zu beantworten. Also denken sie nach: Von Yvonne Catterfeld und Sookee, über Philipp Poisel und Fatoni kommen Neonschwarz schließlich auf die Frage: "Schlager oder Zeckenrap?". Die Antwort ist ganz klar: "Schlager!" rufen die drei fast im Chor. "Zeckenrap ist so eine Schublade, wir haben keinen Bock auf Schubladen, darum sagen wir Schlager", erklärt Johnny die einstimmige Meinung. Einen Schlagersong haben Neonschwarz sogar schon im Kasten, haben sich aber nicht getraut, ihn auf "Metropolis" zu veröffentlichen. Also, nicht schockiert sein, wenn ihr demnächst Neonschwarz im Musikantenstadl zu sehen bekommt!

Das Interview wurde zusammen mit Simon Strehlau von Hertz 87.9 geführt. Nachhören könnt ihr es auf der Homepage des Bielefelder Campusradios.

Marlena Julia Dorniak

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