Interview
Lilly Among Clouds
Elisabeth Brücher, alias Lilly Among Clouds, hat einen straffen Zeitplan. Gerade eben hat sie noch ihren Mitmusiker eingesammelt, nun soll sie ein Interview mit mir führen, in einer halben Stunde fängt schon das Konzert an – und das Essen ist auch noch nicht da. Darum schlägt Lilly vor, dass ich mit in den Backstagebereich kommen kann, und sie sich während des Interviews fürs Konzert fertig macht. So unterhalten sich nun also unsere Spiegelbilder miteinander, im großen Spiegel eines sonst ziemlich kargen Raums, in dem Lilly auf dem Boden sitzt und in ihrer Kosmetiktasche kramt. Ganz beiläufig zieht sie sich einen perfekten Lidstrich und erzählt davon, wie begeistert sie war, als sie zum ersten Mal den Lidstrich und seine intensive Wirkung für sich entdeckt hat. "Das ist mein liebstes Accessoire geworden!" In ihrer Jugend sei sie in Chucks rumgelaufen und hatte Sorge, morgens den Bus zu verpassen. Das Schminken an sich habe sie erst spät angefangen. Genau wie das Musizieren auf der Bühne. Das hatte seinen Anfang vor rund sieben Jahren.
"An meinem 20. Geburtstag habe ich einen kleinen Auftritt organisiert, bei mir daheim, und Familie und Freunde eingeladen. Wir haben mit allen möglichen Instrumenten gespielt. Davon gibt es auch eine Aufnahme – es klingt ein wenig wie eine Schulaufführung, noch ziemlich unsicher." Lilly muss selbst über sich lachen. "Aber es war halt cool! Ich komme aus einer Gegend, wo sehr viel klassische Musik gefördert wird, aber nicht Popmusik. Ich wusste nicht, wo ich anfangen soll. Du wohnst halt noch zu Hause, ich glaub, das war auch so eine große Hemmung, dass es so spät war. Seit ich in Würzburg wohne – die haben eine ganz andere Kultur! Im zweiten Jahr dort habe ich schon einen Kulturförderpreis gewonnen, weil sie auf mich aufmerksam geworden sind. Auf einmal sagt jemand, das ist wertvoll, was du da machst! Ich bin fast in Tränen ausgebrochen. Drum herum hat das sonst nicht so richtig Respekt erfahren. Brotlose Kunst und so. Aber die haben mich auf einmal ernst genommen!"
Wenn Lilly von sich als Musikerin erzählt, ist das verwirrend. Zum einen wirkt sie absolut professionell und abgeklärt, zum anderen oft verunsichert. Woher kommt diese Unsicherheit, die sie umtreibt? "Ich hab ja auch Politik studiert und habe einen großen Respekt gegenüber Menschen allgemein. Ich würde nie behaupten, dass ich talentierter bin als andere. Und manchmal sind die Leute auch nicht ehrlich, dann bin ich schon eher misstrauisch. Außerdem bin ich einfach nicht so ein Mittelpunktmensch. Das war nie ein großer Traum von mir, Sängerin zu werden und auf der Bühne zu stehen. Dadurch, dass ich schon immer singe, ist es eben nichts Besonderes für mich. Warum soll das auf einmal gut sein, wenn es schon dein Leben lang da war?!"
Auf der Bühne ist Lilly ein anderer Mensch. Jedenfalls, während sie spielt. Die Ansagen kommen unsicher und verwirrt, dass manch eine Person im Publikum sich fragt, ob diese Unsicherheit nur gespielt ist, um niedlicher zu wirken. Während sie Musik macht, sind alle ganz gebannt. "Diese Stimme!", höre ich um mich herum, und: "Wie jung sie aussieht!". Ihr jugendliches Aussehen dient der 27-jährigen sicherlich für einen zusätzlichen Aha-Effekt, neben dem professionellen Umgang mit den verschiedenen Instrumenten und eben den unterschiedlichen Ausdrucksformen ihrer Stimme. Auch das Zusammenspiel mit ihren beiden Musikern für den heutigen Abend, Jannis Reuter und Gunnar Ennen, wirkt total harmonisch. Kaum zu glauben, dass sie zwar alleine für sich die Stücke geübt haben, als Band aber bis zu diesem Auftritt noch nie zusammen gespielt haben.
Von der Gruppe Messer kommt die letzte Frage im Interviewbuch, die nun Lilly beantworten soll: "Würdest du lieber ein halbes Jahr ohne Decke pennen oder dir einen Monat nicht die Zähne putzen?" "Ich könnte niemals einen Monat lang die Zähne nicht putzen! Nach einem Monat sind meine Zähne im Arsch." Ohne eine Decke zu schlafen, wäre wohl das kleinere Übel für Lilly. Als sie sich selbst eine Frage ausdenken soll, gibt sie sich schon wieder sehr kleinlaut und unsicher. "Mir fällt keine so tolle Frage ein. Das wird scheiße, ich bin nicht so kreativ." Im Endeffekt schreibt sie dann, so verdeckt, dass es niemand sehen kann: "Wo würdest du lieber wohnen, auf dem Mond, in einem Raumschiff mit Captain Spock persönlich, oder in der Matrix die blaue Pille nehmen?". Ohne die Frage zu kennen, lasse ich mir die Antwort geben: "Auf dem Mond!", sagt sie und lächelt verlegen.
Außer über ihr Musikmachen erzählt Lilly nicht viel von sich. Schon als Kind hat sie Lieder und Melodien erfunden, einfach nur, um sich zu beschäftigen, weil ihre Geschwister älter sind und ihr sonst langweilig gewesen wäre. Wie sah es denn mit der musikalischen Förderung von Zuhause aus? "Es war schon so, dass wir eher für Musikunterricht statt für Sport Geld ausgegeben haben, es war eben nur genug für eine Sache da. Es war meinen Eltern schon wichtig, aber wenn meine Mum nachmittags daheim war, wollte sie eher Ruhe haben, weil sie mit Migräne Probleme hatte. Darum habe ich auch irgendwann Gitarre gelernt, obwohl ich mich am Klavier immer wohler gefühlt habe. Für Musikmachen in der Familie war auch nicht so die Zeit – meine Eltern waren viel berufstätig."
Darum war das Schreiben von Songs für Lilly schon immer eine gute Möglichkeit, sich auszudrücken oder sich zu beschäftigen. "Natürlich ist es dieses klassische Selbsttherapie-Ding. Wenn ich nicht gut drauf bin, setze ich mich ans Klavier und schreibe Songs. Fröhliche Lieder zu machen, macht mir aber auch Spaß, aber dafür muss ich mich schon richtig hinhocken und nachdenken. Aber dann sind es schon eher ausgedachte Texte." Lilly mag große Popsongs, nicht nur die eigenen. "Wenn ich daheim durch die Bude tanze, höre ich ziemlich viel Lykke Li, dieses 'Wounded Rhymes'-Album. Ich mag die Mischung aus einfachen Melodien, Popmelodien, und ausgeflippten Sounds. Wo ich mir manchmal zu viel Kopf drum mache!" Während die Studioaufnahmen mit Produzent Udo Rinklin zu bombastisch wirken, sehr opulent und charttauglich, ist das Konzert dann dankbarerweise doch vertrackter und spezieller. Sie in irgendeine Sparte zuzuordnen, fällt denkbar schwer. "Ich hab mich nie nach jemandem genau gerichtet, deswegen sind die Vergleiche auch ganz seltsam in anderen Richtungen. Mein liebstes war mal: Alanis Morissette, Rihanna und Tori Amos in einem Satz. Und ich so: Ja, genau! Habt ihr das schon mal in eine Person gepackt? Das geht doch gar nicht!". Wenn man Lilly Among Clouds dann live sieht, hat man das Gefühl, dass es eben doch geht.
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