Interview

Nathaniel Rateliff


Im Kölner Gebäude 9 trifft sich Nathaniel Rateliff auf ein Gespräch mit uns. Um sein aktuelles Album "Falling Faster Than You Can Run" vorzustellen, tourt er derzeit durch Europa. Dass er bereits eine Weile unterwegs ist, erkennt man an seinem müden Gesicht und seiner etwas heiseren Stimme. Dennoch ist er bestens gelaunt, offen und lustig. Erkenntnisse des Gesprächs: Das Leben ist scheiße! Michael Kiwanuka schwitzt zu wenig! Und Rateliff ist zu uncool für homosexuelle CD-Cover!

Trinkst du gerade Wasser?

Nathaniel: Nein, Jack Daniels. (lacht)

Ist das dein Standarddrink?

Nathaniel: Ich trinke nicht immer Jacky, aber wir hatten echt eine beschissene Anfahrt heute und konnten ewig diesen Laden hier nicht finden, mussten uns vorher in Amsterdam sehr beeilen, das war alles sehr stressig und da war es einfach Zeit für Bourbon.

Du trinkst also gerne Whiskey. Kein Bier?

Nathaniel: Nee, ich mag kein Bier.

Meinst du, deine Vorliebe für Whiskey sagt irgendwas über deinen Charakter aus?

Nathaniel: Mhh, nö. Ich trinke ja nur, um betrunken zu sein (schallendes Lachen). Naja, ich mag ja auch Wasser, aber meistens halte ich mich an Whiskey. Vielleicht hat das ja auch was mit meiner Herkunft zu tun. In Denver trinkt man halt Whiskey. Ich hab gerne Bier getrunken, als ich jünger war. Aber mit dem Alter hat sich mein Geschmack verändert, manchmal trinke ich auch Wodka mit Mineralwasser, niemals Gin.

Ihr habt gestern in Amsterdam gespielt, morgen geht's noch nach Paris und dann war's das erstmal, richtig?

Nathaniel: Ja genau, und dann komme ich nächsten Monat aber nochmal nach Europa und spiele in Barcelona. Ich bin aber echt bereit, nach Hause zu gehen. Joseph und Julie, die ja eigentlich mit mir spielen, sind dort geblieben. Julie hat gerade ihr Kind bekommen, an genau dem Tag, an dem ich abgereist bin und nun bin ich gespannt auf Joseph Pope IV.

In deinen Songs transportierst du stets viel Sehnsucht und gleichzeitig auch Heimweh. Bist du lieber an einem Ort oder bist du lieber unterwegs?

Nathaniel: Ich liebe es, daheim zu sein. Ich will sehr gerne zurück aufs Land, da bin ich aufgewachsen. Ich bin dann irgendwann nach Denver gezogen, eine Großstadt. Am liebsten würde ich aber irgendwohin, wo es weniger Leute gibt und ein einfacheres Leben, mich mit meinem Garten und dem Jagen beschäftigen. Ich reise zwar gerne, aber es kann wirklich hart sein. Vor allem das Touren besteht aus sehr viel Bewegung und viel Einsamkeit, auch wenn man die ganze Zeit von Menschen umgeben ist. Die neue Platte behandelt dieses Gefühl sehr ausgiebig.

Wahrscheinlich nennt der deutsche Rolling Stone die Musik auf dieser Platte deshalb auch "Musik gegen die Einsamkeit". Allerdings sagst du in einem anderen Interview, dass dein neues Album weniger dunkel ist als die Vorgängerplatte. Warst du also weniger traurig, als du das neue Album geschrieben hast?

Nathaniel: Mhhh, das kommt sehr auf das Thema an, das behandelt wird. Als ich "Falling Faster Than You Can Run" geschrieben habe, hatte ich gerade ein paar wirklich harte Jahre hinter mir. Es war echt eine harte Zeit mit Beziehungen, dem Trinken usw. Der Schreibensprozess hat also in dieser schwierigen Phase angefangen. Nicht, dass es tatsächlich einen begrenzten Prozess des Schreibens gegeben hätte, es ist so, dass Dinge passieren, ich irgendwann schreibe und erst hinterher merke, dass es tatsächlich Worte zu bestimmten Ereignissen sind. Dann merke ich später, dass ein Teil von mir sich längst mit einem Problem beschäftigt hat, ohne dass ich selber gemerkt habe, dass das überhaupt ein Problem war.

Gut, dass du dein Songwriting als Ventil für so etwas hast. Was glaubst du, was würdest du machen, wenn du Gedanken und Probleme nicht auf diese Weise verarbeiten könntest?

Nathaniel: Keine Ahnung! Meine Frau sagt auch immer, dass ich mich sehr glücklich schätzen kann, dass ich diese Möglichkeit habe, Dinge zu verarbeiten. Viele Leute haben das nicht.

Und nach einer Weile bringen sie sich um.

Nathaniel: (lacht) Ja genau! Aber als ich jung war, habe ich viel mit meinen Händen gearbeitet. Damit habe ich einiges für mich ins Reine bringen können. Ich schätze mal, wenn ich keine Songs schreiben würde, wäre mein Leben wahrscheinlich entweder ein totales Desaster, oder ich würde einfach viel mit meinen Händen erschaffen, Häuser bauen oder ein sehr guter Gärtner werden oder so. Wenn ich Zeit habe, mache ich das immer noch gerne. Wenn ich nach Hause komme, werde ich, denke ich, mit einem Freund von mir eine Sauna in seine Wohnung bauen. Allerdings nehme ich mir so was nach dem Touren häufig vor, um dem Nichtstun zu entkommen. Nachdem man so lange auf Tour so viel Stress hatte, weiß man manchmal gar nichts mit sich anzufangen. Man steht morgens auf, kocht sich einen Kaffee und fragt sich, was man tun soll. Da wird man irgendwann depressiv, wenn man gar keine Aufgabe hat.

In deinem Song "Still Trying" wiederholst du die Worte "I don't know a goddamn thing" sehr häufig und inbrünstig. Bist du dir und deiner Umwelt gegenüber ein sehr skeptischer Mensch?

Nathaniel: Ich habe aufgehört, Dinge ständig in Frage zu stellen. Ich habe einfach beschlossen, mir weniger Sorgen zu machen. Als ich diesen Entschluss gefasst hatte und die Dinge angenommen habe, ging vieles plötzlich besser. Das meine ich auch in spirituell-religiösem Sinn: Ich frage mich nicht mehr, was es wirklich gibt und was nicht, ich nehme bestimmte Dinge einfach an und fertig. Versteh mich nicht falsch, Religionen sind sicherlich gut für manche Menschen und gleichzeitig richtig schlecht für die meisten anderen, für mich ist es nichts. Ich habe nichts gegen Spiritualität, ich versuche einfach nur, wenig darüber nachzudenken.

In deinen Songs findet man allerdings durchaus häufig Fragezeichen, die du dem Leben oder gewissen Umständen stellst.

Nathaniel: Ja, ich versuche ja auch immer noch, Dinge herauszufinden. Aber ich glaube, ich schreibe eher Songs darüber, als dass ich diese Fragezeichen an eine höhere Macht stelle. Es gibt zum Beispiel Menschen, die gut im Argumentieren sind und sich viel über solche Dinge unterhalten. Ich nicht. Ich bin irgendwie immer liberal und versuche, Konflikte auszuloten. Meine Stellung beziehe ich tatsächlich eher im Songwriting.

Erklärst du anderen gerne den Sinn hinter deinen Songs?

Nathaniel: Ehrlich gesagt nicht. Als wir den Trailer für die neue Platte gemacht haben, haben wir einfach nur versucht, lustig zu sein. Mein Manager fragte mich nämlich vorher, wovon meine Songs eigentlich handeln und ich habe nachgedacht. Da ist mir eingefallen, dass es teilweise Songs sind, die, oberflächlich betrachtet, nur aus einer gewissen Stimmung heraus entstanden sind. Ich habe mich vielleicht müde und faul gefühlt, es hat draußen geregnet und ich habe den ganzen Tag im Bett verbracht oder so. Wenn ich das irgendwem erklären würde, würden die Leute denken, ich sei nur eine Heulsuse, oder es würde einfach niemanden interessieren. Das Wichtige ist doch, wie der Hörer die Songs für sich interpretiert!

Richtig! Ich glaube, das ist auch das Schöne und Universelle bei so was: Du hast den Song geschrieben, er hat etwas mit dir angestellt und mit dem Hörer geschieht etwas vielleicht ganz Anderes, wenn er den Songs zuhört. Trotzdem ist das der Punkt, an dem man sich trifft.

Nathaniel: Genau! Jede einzelne Interpretation von Musik ist sozusagen die Verbindung eines echten Gefühls. Das tut etwas! Etwas Kraftvolles! Auf eine gewisse Weise macht es dieser Gedanke wert, einen Song zu schreiben.

Dein neues Album heißt "Falling Faster Than You Can Run" und auf dem Cover sieht man zwei Menschen, die offensichtlich im Bett liegen und irgendwie aufeinander bezogen sind. Wie passt das zusammen?

Nathaniel: Ja. Diese zwei Menschen sind ein Mann und eine Frau! Ich wurde gefragt, ob es zwei Männer sind. Aber dafür bin ich nicht cool genug (lacht), und da zwei halbnackte Frauen auf das Cover zu packen, wäre einfach nur stumpf und sexistisch! Ich hatte im Vorfeld aber einige Ideen für das Cover, etwa von jemandem, der tatsächlich fällt oder so. Aber wovon die Platte im Endeffekt handelt, ist die räumliche Distanz, die Sehnsucht nacheinander und auch die Hoffnung, wofür die halbgeöffnete Hand der männlichen Person auf dem Bild stehen sollte.

Vielleicht hast du ja deshalb auch in diesem anderen Interview gesagt, dass diese Platte heller schattiert ist als "In Memory Of Loss".

Nathaniel: Ja, vielleicht. Wobei ich selber gar nicht finde, dass "In Memory Of Loss" so negativ ist.

Naja, nicht negativ. Deine Musik ist aber generell sehr melancholisch. Allerdings ist es immer eine sehr warme Melancholie.

Nathaniel: Das sehe ich auch so. Ich meine, das Leben ist halt scheiße. Was soll man dazu anderes sagen? Es ist hart. Man hat immer irgendwelche Probleme, das Leben ist wirklich scheiße (lacht). Aus vielen Gründen oder aus gar keinem Grund. Es ist, wie es ist.

Wobei du als Künstler ja auch nicht unbedingt den einfachsten Weg gewählt hast. Gerade was das Finanzielle angeht: Kannst du mittlerweile von deiner Kunst leben?

Nathaniel: Naja, nicht wirklich. Ich gebe mehr Geld für das Touren aus, als ich einnehme. Aber was soll ich machen? Ich kann ja schlecht Platten veröffentlichen und keine Shows spielen. Außerdem macht man bei Konzerten immer die besten Erfahrungen und bekommt viel von den Zuhörern mit. Das ist unendlich viel wert.

Es ist ja auch wundervoll, live zu spielen, oder?

Nathaniel: Ja. Aufzunehmen kann auch Spaß machen. Wobei: ich habe zwischendurch, als ich zu Hause war, eine EP aufgenommen und da sollte ein Song drauf, den ich unterwegs aufgenommen habe und der mir sehr gefällt. Er klingt allerdings beschissen, weil er schlecht aufgenommen ist. Nach neun Stunden hatten wir im Studio allerdings immer noch keinen guten Take und ich dachte einfach nur "Fuck this shit!" und bin heim gegangen. Da stehe ich lieber auf der Bühne und mache mein Ding!

Das tust du ja auch ziemlich energiegeladen mit deiner anderen Band, den "Night Sweats".

Nathaniel: Und wie! Allerdings bin das ja auch nur ich allein. Mit ein paar anderen Musikern. Aber das Spielen mit den Sweats ist schon wirklich großartig. Das war auch die Idee dahinter: Mit viel Energie und Schweiß live zu spielen.

Und es passt sehr gut zu der aktuellen Rückgewandheit, der Retromania, wenn man sich die ganzen aktuellen Folk- und Soulsachen, etwa Michael Kiwanuka, anhört.

Nathaniel: Oh wirklich? Ja stimmt, Michael könnte auch aus den 50ern sein. Wir waren mit ihm auf Tour! Großartiger Typ, allerdings leider nicht verschwitzt genug für uns (lacht). Ich habe mir da gar keine Gedanken drum gemacht! Ich liebe einfach diesen Sound aus der Zeit, die Kraft dieser Musik, mochte schon immer den frühen James Brown und Otis Redding. Es ist unglaublich, mit so vielen Instrumenten auf der Bühne zu stehen und abzugehen!

Ich habe da Videos von gesehen. Ihr rockt ziemlich ab!

Nathaniel: Ja! Das macht auch irre viel Spaß! Mir war es immer etwas peinlich, auf der Bühne zu rocken. Die Leute denken bestimmt "da ist dieser fette Typ, der da versucht, sich zu bewegen!" Ich meine, ich weiß, dass ich gut tanzen kann, aber wen interessiert das? Weißt du, ich bin ja immer noch der fette Typ! (lacht schallend)

Oh, das darfst du so nicht sagen! Und das Geniale ist, dass du so viel Kraft in deiner Stimme hast, dass du diese Power der Musik rüberbringen kannst!

Nathaniel: Da hast du Recht! Ich versuche dabei aber immer authentisch zu sein und nicht zu schauspielern. Meine andere Band, von der ich noch gar nichts veröffentlicht habe, macht so Gypsyjazz, was auch ein Teil von mir ist. Wir haben letztens Witze darüber gemacht, dass ich noch ein weiteres Projekt machen könnte: "The soft side of Nathaniel Rateliff" mit so kitschigem Swing-Sound.

Ja bitte! Da könntest du dann super einen engen Rollkragenpulli tragen!

Nathaniel: Auf jeden Fall! Ich habe kaum Hals und würde aussehen, als hätte ich Brüste!

Es wäre wunderschön, da bin ich mir sicher! Ich denke, das ist eine wundervolle Ankündigung für die Zukunft und ein hübsches Schlusswort. Ich danke dir sehr für dieses Interview!

Silvia Silko

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Rezension zu "Falling Faster Than You Can Run" (2014)
Rezension zu "In Memory Of Loss" (2011)
Konzertbericht (2015)

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