Interview
Moddi
Pål: (schenkt mir und sich einen Tee ein) So, worüber wollen wir reden?
Das ist eine gute Frage. Vielleicht über dich?
Pål: Oh nein! Also die Platte handelt ja nicht von mir. Ich habe versucht, so wenig wie möglich über mich selbst zu reden. Mein Leben ist wirklich langweilig: Ich bin ein Junge aus Norwegen, ich bin weiß, ich habe eine gute Ausbildung, ich habe alles, was ich brauche und als Musiker gibt es keine interessanten Tage. Mein Leben findet Backstage oder im Flugzeug oder in einem Auto statt. In meinem Leben gibt es nicht so viele interessante Dinge und das ist der Grund, weshalb ich diese Platte so toll finde. Sie handelt von anderen Leuten, wirklichen Leuten und deren Geschichten. Zwölf verschiedene Geschichten, die nicht von "Industrielandproblemen" handeln. Sie handeln nicht von schlechten Croissants Backstage oder langen Nächten auf Tour, sie handeln nicht von Herzschmerz oder Heimweh, sondern sie handeln von Dingen, die sich wichtig anfühlen, jedenfalls für mich. Daher: So wenig "Ich" wie möglich.
Hast du das Thema auch deshalb ausgewählt? Weil du nicht über dich sprechen wolltest?
Pål: Aber selbstverständlich, ich bin ja auf dieser Platte irgendwie im Mittelpunkt, weil ich die Lieder singe. Aber vielleicht kann ich es mit einem Bild besser beschreiben. Das Artwork für die Platte ist von einer iranischen Frau gestaltet worden. Zuerst hat sie diesen Vorschlag gemacht (zeigt mir auf seinem Smartphone ein Bild).
Man sieht dein Gesicht darauf.
Pål: Ja, man sieht mein Gesicht, und für mich ist das ein, wie soll ich sagen, nicht ein Problem, aber ich wollte zeigen, dass ich in diesem Projekt auch ein Zuhörer bin, ich bin ein Beobachter. Ich finde diese Lieder so interessant und so voll von Einsicht, dass ich als ein Zuhörer diese Songs teilen wollte mit meinen Zuhörern. Auf diesem Bild (zeigt mir die Endversion des Albumcovers, auf dem er nur von hinten zu sehen ist – Anmerkung des Autors) bin ich auf eine Weise auch ein Zuhörer. Aber was war nochmal die Frage? (lacht)
Ich glaube, wir hatten gar keine Frage. Aber ja, das ist interessant. Wir hatten davon gesprochen, dass du nicht so gerne über dich sprichst. Allerdings bist du ja auch Musiker...
Pål: Hmm, ja (seufzt), ich bin mir nicht so sicher. Ich bin eigentlich Student, ich habe bis eben an meiner Masterarbeit geschrieben, über Energieeinsparungen in der Ferro-Silizium-Industrie, also etwas ganz anderem als verbotenen Liedern. In meiner Welt ist man nicht Musiker. Man macht Musik oder man spielt Musik oder man singt Lieder. Für mich gibt es zu viele Leute, die sich Musiker nennen. Wie soll ich es sagen... Musiker lesen Noten, sie können komponieren, sie kennen Akkorde, sie haben einen Lehrer gehabt oder Musik studiert. Ich habe Physik und Mathematik studiert, ich habe einen Bachelor in Soziologie, ich kann keine Noten lesen. Für mich ist "Musiker" nicht etwas, das man "ist", Musik ist etwas, das man "macht". Musik ist für mich kein Beruf, sondern ein Medium, durch das ich Geschichten erzählen kann.
Aber du erreichst durch die Musik ja auch viele Menschen. Das hat für dich aber damit nichts zu tun, ob man Erfolg hat oder nicht? Ist das kein Kriterium für dich?
Pål: (lacht) Nein, nein, nein... Aber klar, es ist ja auf eine Weise "auch" ein "Beruf", aber wie gesagt, ich habe eine Ausbildung und ein Netzwerk in einem anderen Bereich. Ich bin in vielerlei Hinsicht nicht abhängig von Musik und ich will nicht abhängig von Musik sein. Alles verändert sich gerade so schnell – mit der Musikindustrie, mit Streaming, mit Konzerten und ich will sehr gerne Musik mit einer Message machen. Vor 70 oder 80 Jahren war es für Folk-Musiker möglich, als Protestmusiker zu leben. Das siehst du heute nicht mehr bei modernen Musikern. Sie sind Popmusiker oder sie sind Protestmusiker. Die Kombination existiert fast nicht mehr.
Meinst du, man kann heute eher davon leben, wenn es um eine Form von Entertainment geht?
Pål: Viele Leute sagen das zu mir. Das ganze Projekt hat mit "Eli Geva" begonnen, dem Lied, das ich nach einem Konzert entdeckt habe, das ich eigentlich in Israel spielen sollte. Und als ich mein Konzert in Israel abgesagt habe (weil er sich nicht für politische Propaganda benutzen lassen wollte – Anmerkung des Autors), haben viele Menschen zu mir gesagt: "Du bist ein Musiker, warum sagst du ein Konzert ab? Dein Beruf ist es doch zu unterhalten! Musiker sollen neutral sein, sie sollen für alle da sein, sie sollen Brücken bauen." Für mich klingt das alles nach totalem Blödsinn. Das sind Songs, die nicht herausfordern. Sie stellen sich immer auf die starken Seiten in Konflikten in der heutigen Welt. Ich versuche damit zu sagen, dass neutrale Lieder, Lieder, die "Brücken bauen", die von universellen Dingen handeln, von gewöhnlichen, angenehmen Dingen, die jeder akzeptieren kann, über die sich alle einig sein können, immer die dominanten Machtstrukturen in der Gesellschaft verstärken. Stille Musiker zählen für mich nichts. Nichts ist so langweilig wie Musik, die nicht Stellung bezieht. Das hat mich diese Platte gelehrt. Die zwölf Songs auf dem Album zeigen eine Perspektive auf die Wahrheit, die in vielerlei Hinsicht sehr schmal ist, sie repräsentieren kulturelle, politische und religiöse Minderheiten, Menschen, die nicht unbedingt in den Mainstream-Medien auftauchen. Sie präsentieren Perspektiven, die man nicht oft hört, und deshalb wurden sie verbannt und zensiert und nicht akzeptiert im öffentlichen Diskurs. Aber was war noch einmal die Frage? (lacht)
Es ging darum, was deine Rolle als Musiker ist.
Pål: Oh ja, ich versuchte zu sagen, dass Songs, die Minderheiten repräsentieren, fast immer interessanter sind als Songs über etwas, dem alle einstimmig zustimmen können. Deshalb, glaube ich, brauchen wir mehr Songs in dieser Welt mit Konflikten in sich, mehr aggressive Songs.
Das ist aber interessant, ich sehe dich, wenn man das so sagen kann, eher als Folk-Sänger und du trägst diese Songs auf eine ruhige Weise vor. Ist es dann eine Schwierigkeit, Aggressivität zu vermitteln? Wut, die der ursprüngliche Songschreiber empfand, als er den Song geschrieben hat?
Pål: Ich glaube und ich hoffe, dass die Aggression aus den Originaltexten immer noch vorhanden ist. Der Stil und Sound von Pussy Riot zum Beispiel ist ja extrem aggressiv, nicht nur in seiner Sprache, aber das verhindert auch, dass die Message durchkommt. Ich habe eine Umfrage gelesen, die besagt, dass nur einer von fünf Russen verstanden hat, dass Pussy Riots Songs ein Protest gegen Putin sind. Der Refrain von "Punk Prayer" lautet ja: "Holy Mary, drive Putin away", aber das russische Volk hat nicht verstanden, dass es ein Protest gegen Putin ist. In Pussy Riots Stil gibt es zu viel Rauschen, so dass man die Botschaft eigentlich nicht hört. Deshalb habe ich beim Übersetzen der Lieder aus dem Russischen, dem Vietnamesischen, dem Spanischen und dem Hebräischen ins Englische nicht nur versucht, die Wörter zu interpretieren, sondern auch die Songs auf eine Weise zu präsentieren, dass man sie nicht missinterpretieren kann. Und selbst russische Menschen haben mich nach der Veröffentlichung dieses Albums kontaktiert und gesagt: "Wow, ich wusste nicht, dass Pussy Riot so durchdacht und poetisch und immer noch relevant sind. Ich dachte, dass 'Punk Prayer' ein blasphemischer Angriff auf die russische Kirche ist, aber das ist es ja nicht." Aber wenn ich solche Dinge höre, dann spüre ich auch, dass ich mein Ziel erreicht habe, meine Lieder auf eine Weise zu präsentieren, die es leichter macht, die Themen zu verstehen.
Siehst du dich jetzt also eher in einer Tradition der alten Protestsänger?
Pål: Aber das bin ich ja nicht! Ich singe keine Protestlieder, naja vielleicht schon (lacht). Aber nicht alle diese Lieder sind ursprünglich Protestlieder oder politische Lieder. Sie wurden dadurch Protestlieder, dass sie verboten, verbannt oder zensiert wurden. Dadurch sind diese Lieder politische Lieder und Protestlieder geworden und geblieben. Ich hoffe wirklich, dass ich eines Tages Lieder schreiben kann, die so stark und wohl durchdacht sind wie diese zwölf. Sie haben für mich als langweiligen Singer-Songwriter aus dem hohen Norden wirklich einen neuen Standard gesetzt und für mich wird es in Zukunft wirklich sehr schwer werden, diesen Standard als Musiker zu erreichen.
Ich finde, du bist sehr selbstkritisch.
Pål: Ist das ein Kompliment? (lacht)
Ich denke doch, ja. Aber du hast davor ja auch schon zwei Alben gemacht, findest du die trotzdem noch gut? Hat das neue Album daran etwas geändert?
Pål: Ich würde wohl nicht noch einmal diese beiden Alben schreiben, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber glücklicherweise sind sie schon da (lacht) und darauf sind Songs, die die Leute lieben. und selbstverständlich werde ich diese Lieder auf meinen Konzerten spielen, weil ich weiß, dass diese Lieder für meine Zuhörer wichtig sind, weil sie etwas beschreiben, das für sie wichtig ist. Und das ist selbstverständlich eine große Ehre, dass man wichtige aktuelle Lieder geschrieben hat. Aber ich habe eingesehen, dass meine nächste Platte wohl meine schwierigste wird. Diese Lieder (vom neuen Album – Anmerkung des Autors) haben mir gezeigt, wie stark, wie schön und wie relevant Musik sein kann und auf zwölf verschiedene Weisen haben diese Lieder mir auch gezeigt, wie man Protestlieder oder politische Lieder oder generell relevante Lieder schreiben kann. Jetzt muss ich es nur selbst machen (lacht). Um ehrlich zu sein: Ich habe in den letzten Jahren keinen einzigen Song geschrieben. Dieses Projekt hat mir alles abverlangt: meine Zeit, meine Energie, mein Geld, mein Alles. Ich habe quasi nichts geschrieben seit zwei Jahren, es wird also wirklich schwierig und spannend, was der nächste Schritt sein wird.
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