Interview
Liima
Casper Clausen, Sänger von Liima und Efterklang, kommt durch den Matsch und Regen zum Pressezelt auf dem Haldern Pop Festival gestapft. Wir finden einen gemütlichen Platz im Trockenen, um unser Interview zu machen und stellen uns dort karibische Inseln vor, denn Georgia, die die vorangegangene Interviewpartnerin war, hat eine Frage für die folgende Person mitgegeben: Welche drei Platten müssen mit auf eine einsame Insel? "Ich würde 'Laid Back – Keep Smiling' mitnehmen, es ist perfekt für diesen Fall, denn sogar das Cover zeigt eine Insel und darauf sind Songs wie "Fly Away (Walking In The Sunshine)" und sogar "Sunshine Reggae". Dann wäre auf jeden Fall das neue Album 'Konobo N°1 Meets Batida' von Konono N°1 dabei. Und dann sollte ich noch ein Album mitnehmen, zu dem ich gut entspannen kann. 'Gigi Mason – Talk To The Sea' wäre das. Das mache ich immer an, wenn ich nicht schlafen kann, weil es so entspannend ist."
Auffälligerweise waren Laid Back und Konono N°1 auch beim By The Lake Festival dabei, das Efterklang zum wesentlichen organisiert haben und das vor ein paar Wochen zum zweiten Mal stattgefunden hat. "Es war sehr anstrengend, alles zu organisieren, aber am Ende war es wundervoll. Ich bin über das Gelände gelaufen und habe den Menschen dabei zugesehen, wie sie Spaß hatten, wie sie schwimmen gegangen sind, der Musik zugehört haben. Es war, als hätten wir eine riesige Gartenparty geschmissen, mit allen unseren Freunden. Wir wollten ein Festival machen, das besonders ist. Ein wenig wie die Fusion, nur mit viel, viel weniger Menschen. Wir mögen kleine Festivals. Nicht so ein Berliner Festival, zu dem die Menschen wahllos hin gehen und sich keine Gedanken machen, sondern ein Ort, für den man sich bewusst entscheidet, der etwas Besonderes ist, der eine Attitüde hat." Einen ähnlichen Hintergrund haben ja auch die Macher vom Haldern Pop im Hinterkopf. Mit Efterklang ist Casper nun schon zwei Mal beim Haldern aufgetreten, der Auftritt mit Liima ist sein dritter dort insgesamt. Beim Auftritt 2013 wirkte die gesamte Band, aber vor allem Casper, irgendwie ausgebrannt, nervös, angespannt. Woran lag das? "Es war eine ziemliche Herausforderung, die Hauptbühne zu bespielen, vor so vielen Menschen, und alle Erwartungen zu erfüllen. Ich hatte diese Vorstellung von mir, wie ich mich als Musiker sehen wollte. Das Setting war dafür nicht das richtige. Ich hätte einfach spielen und mich entspannen sollen, aber ich habe mir irgendwie mehr erwartet, von mir selbst auch. Es war ein tolles Geschenk von den Festivalmachern, uns zu dieser späten Zeit auf der Hauptbühne spielen zu lassen, aber es war nicht der richtige Ort. Efterklang, und so ist es auch mit Liima, ist oft in einer fragilen Verfassung, es müssen gute Bedingungen sein, damit es das perfekte Konzert ist. Ich habe damals auch The National hier gesehen und ich mag sie, weil sie Freunde von uns sind. Aber ich will als Musiker nie so werden, keine Maschine sein, die die immer gleich guten Konzerte spielt, egal in welcher Umgebung. Wir haben nicht das Ziel, jede Nacht große Bühnen zu bespielen. Ich möchte etwas Besonderes sein und bleiben."
Etwas Besonderes sind Efterklang und Liima in jedem Fall. Efterklang agieren zur Zeit eher im Hintergrund, werden aber bald wieder mit ihrer Oper auf Tour sein. Bei Liima spielen nun die gleichen Mitglieder wie bei Efterklang, nämlich Mads Brauer, Casper Clausen und Rasmus Stolberg – und mit ihnen außerdem Tatu Rönkkö, der schon seit einigen Jahren Efterklang bei Konzerten unterstützt hat. Warum also ein neuer Name, wenn es im Prinzip die gleichen Leute sind? "Wir mussten der Band einen anderen Namen geben, um nicht mit dem anderen gelabelt zu sein und wieder frei spielen zu können. Wir hatten Lust, mit einem guten Freund zusammen Musik zu machen. Wenn wir jetzt Musik machen, ist es ein völlig neuer, kreativer Prozess. Wir haben mit Efterklang nie auf diese Art Musik gemacht. Efterklang ist sehr perfektionistisch, wir haben teils Monate an den immer gleichen Songs gearbeitet, das war sehr frustrierend! Mit Liima können wir freier sein. Ich weiß nicht, ob wir jemals zu diesem frustrierenden Part zurückkehren werden. Wenn ich aber jetzt die alten Alben anhöre, höre ich diese sehr präzisen und ästhetischen Klänge, jeder Ton sitzt an der richtigen Stelle. Als wir angefangen haben, mit Tatu Musik zu machen, haben wir uns von diesem engen Weg, Musik zu machen, befreit, sind wieder kreativer geworden." Die Person, die dafür verantwortlich ist, dass die Herren in dieser Konstellation zusammen Musik machen, ist Pekka Kuusisto, ein finnischer Geiger. Der hatte nämlich alle vier eingeladen, eine Woche in Finnland zu verbringen, um dann auf dem von ihm organisierten Our Festival mit den in der Künstlerresidenz entstandenen Songs aufzutreten. Einen Bandnamen gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber das Konzert war ein voller Erfolg. A propos Bandnamen: Liima ist das finnische Wort für "Kleber". Vielleicht kam der dadurch zustande, dass die vier Mitglieder während ihres Aufenthalts in einer kleinen Hütte, drei Stunden nördlich von Helsinki, einen untrennbaren Zusammenhalt entwickelten. Dort gingen sie jeden Tag nackt im klarsten Seewasser schwimmen, nachdem sie zusammen in der Sauna waren, und im Anschluss gemeinsam Musiksessions gemacht haben. "Wir fanden Gefallen an dieser Art zu arbeiten. Also versuchten wir in Berlin das Gleiche und schrieben dort mehr Songs. Schließlich wurden wir auch noch nach Istanbul und Madeira eingeladen, um dort weiter zu machen."
Casper lebt mittlerweile in Lissabon. Obwohl er sechs Jahre lang in Berlin gelebt hat und die Stadt liebt, war es ihm doch irgendwann zu viel. "Lissabon ist wunderschön, man hat den Überblick, kennt sich unter den Musikmachenden. Portugal generell ist ein großartiges Land, was Festivals angeht!" Das Eurosonic-Festival hat ebenfalls die portugiesische Musikszene für sich entdeckt und wird im kommenden Jahr den Fokus bei der Bandauswahl darauf setzen. Auch Casper wird versuchen, mit verschiedenen Musikprojekten dabei zu sein.
Aktuell macht Casper in einem neurobiologischen Experiment eines spanischen Wissenschaftlers und Freundes mit. "Es ist Gehirnforschung und Kunstprojekt zugleich. Wir waren in zwei verschiedenen Messungen der Gehirnströme, einmal in Münster und dann in Helsinki, und haben dabei unsere eigene Musik angehört und Entwürfe von Songs, an denen wir gerade gearbeitet haben. Es sollte überprüft werden, was im Gehirn passiert, während man kreativ ist. Dann sind wir nach Thessaloniki gereist und haben dort mit einem anderen Neurowissenschaftler weiter gearbeitet. Er hatte die Idee, einen Synthesizer auf Grundlage unserer Gehirnströme zu programmieren. Die drei Synthesizer, die dabei entstanden sind, klingen sehr unterschiedlich! Aber wir versuchen nun schon seit zwei Jahren, herauszufinden, wie wir sie so klingen lassen können, dass es sich für andere Menschen auch gut anhört. Wir würden gerne etwas damit machen, vielleicht einen Song, eine Installation, einen Raum zur Interaktion... aber wir möchten dieses sehr komplizierte Projekt irgendwie einfach und verständlich machen. Mal sehen, was daraus wird, es ist auf jeden Fall faszinierend."
Ausschnitt aus dem Cover des Albums "ii"
Was außerdem für Liima faszinierend ist, sind Ziegen. Nicht nur, dass eine Ziege ihr Cover ziert, auch andere Geschichten mit Ziegen umgeben sie. "Ziegen sind irgendwie religiöse, mystische, besondere Tiere. Als wir auf den Philippinen waren, waren wir auf einer sehr kleinen Insel und haben dort bei einer Familie Scooter ausgeliehen. Sie haben uns daraufhin zu einem Fest eingeladen und wir konnten die Einladung nicht ausschlagen, das gehört sich einfach nicht. Wir haben köstlich gegessen, als die Ehrengäste wurde sich wunderbar um uns gekümmert, also haben wir gedacht, wir möchten ihnen etwas dafür zurückgeben. Dort gibt es überall Ziegen, die festgebunden in der Landschaft stehen – dann haben wir überlegt, dass es schön wäre, der Familie eine Ziege zu kaufen, denn sie hatten schon eine Kuh und ein paar Hühner. Ich erinnere mich an diesen Moment, im Mondlicht, das auf das weiße Ziegenfell schien und die Mutter des Hauses, die ein breites Grinsen hatte – ihre Zähne standen kreuz und quer – sie zeigte auf die Ziege und sagte: 'Das ist eure Ziege! Und morgen werden wir sie schlachten!' Ich war zu der Zeit Vegetarier und fand das furchtbar. Habe die Nacht über kaum geschlafen. Am nächsten Tag kam die ganze Familie zusammen und feierte ein riesiges Fest! Sie waren alle so glücklich, das werde ich nie vergessen. Das war 2014, seitdem sind Ziegen im Leben von Efterklang irgendwie wichtig. Zu Liima haben die Ziegen gefunden, als wir durch eine Fotosammlung eines Freundes klickten, auf der Suche nach einem Albumcover. Auf einmal war da dieses surreale Foto, das mit einem iPhone gemacht wurde, denn der Fotograf ist Bergsteiger und hat die Ziege dort einfach so stehen gesehen. Es ist magisch! Ohnehin ist die Verbindung zwischen den Menschen und Ziegen seit Jahrtausenden bedeutsam. Und mein Sternzeichen ist Steinbock! Ich liebe die Berge und hasse das Wasser."
Also doch lieber nicht auf einer Insel in Meeresnähe sein, sondern an einem anderen schönen Ort. Casper überlegt sich eine Frage für das Interviewbuch, die die nächste interviewte Band beantworten soll: "Wenn du ein großes Haus auf dem Land hättest, das umgeben ist von vielen schönen, alten Bäumen mit Hängematten, und in den Hängematten liegen Menschen, und der Klang des Windes geht durch diese Bäume – was würdest du trinken?" – Was würde Casper trinken? "Mein Drink wäre ein Cosmopolitan. Er wird mit Cranberrysaft, Wodka und etwas Zitrone gemacht, ist ziemlich süß und wird serviert in einem Martiniglas." Casper grinst. Kein Wunder: die Vorstellung, jetzt in solch einer Hängematte zu liegen und sein Lieblingsgetränk zu schlürfen, die ist ziemlich verlockend.
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