Interview

Biffy Clyro


BRAVO-Journalismus olé: Welches Mitglied von Biffy Clyro zu Weihnachten merkwürdige Kleidungswünsche hatte, erfahrt ihr hier. Doch weil uns natürlich allgemein Seriosität wichtig ist, haben wir mit Biffy Clyros Bassisten James Johnston vor ihrem Konzert im Hamburger Grünspan auch über andere Themen gesprochen. Piraten zum Beispiel...

2010 wart ihr oft in Deutschland unterwegs - Ich kann euch dieses Jahr schon zum vierten Mal in Hamburg sehen. Ihr scheint uns Deutschen endlich verziehen zu haben, dass wir euch Schotten damals Berti Vogts als Nationaltrainer beschert haben?

James Johnston: (lacht) Nicht ganz, nicht ganz! Aber ernsthaft: In der Zeit, in der wir unsere ersten drei Alben rausgebracht haben, waren wir nicht besonders oft in Deutschland und haben das bereut. Daher haben wir jetzt jede Chance wahrgenommen, herzukommen - die deutschen Fans scheinen unsere Musik zu mögen und die Shows sind auch immer toll, insofern....

Ich würde gerne etwas mit dir über "Only Revolutions" sprechen. Ein übergreifendes Konzept scheint ja, Sachen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten - den Albumtitel, den ihr von einem Roman von Mark Danielewski (unter anderem auch Autor des postmodernen Mindfucks "House Of Leaves", Anm. des Autors) übernommen habt, kann man so verstehen, ebenso Texte von Songs wie "Bubbles" oder "God & Satan". Warum war euch dieses Thema wichtig?

James: Solche Themen kommen auf natürliche Art und Weise zu dir; sie basieren auf Sachen, die dir passieren. Sobald man aufwächst und Erfahrungen macht, beginnt man von ganz alleine, aus verschiedenen Blickwinkeln zu schauen. Simon (Neil, Sänger und Gitarrist der Band, Anm. des Autors) hat zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit geheiratet und muss daher nun probieren, sich auch in die Sichtweise seiner Frau hinein versetzen zu können.Die ganze Platte hat dann mehr oder weniger dieses Thema behandelt, daher haben wir dann auch den Romantitel übernommen.

A Propos Simons Hochzeit: Er meinte in einem Interview, er habe probiert, Songs auch aus einer weiblichen Perspektive zu schreiben. Was denkst denn du, wie unterschiedlich diese Perspektiven sind? Was ist dran an dem "Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus"-Klischee?

James: Das ist schwierig, weil ja auch zwei verschiedene Männer immer auf zwei verschiedene Arten denken, daher kann man das sicherlich nicht verallgemeinern. Es gibt allerdings wohl wirklich natürliche, chemische Unterschiede, Prozesse in unserem Gehirn, die uns anders reagieren lassen. Es bereichert dich jedoch, wenn du auch aus der Perspektive eines anderen auf Dinge blicken und du sehen kannst, wie Entscheidungen, die du triffst, auch andere Leute beeinflussen werden.

Denkst du, dass es auch Situationen gibt, in denen es eher kontraproduktiv sein könnte, so sorgfältig über Entscheidungen nachzudenken?

James: Ja, bestimmt. Manchmal muss man auch einfach sein Leben leben, Dinge geschehen lassen und nicht allzu sehr in Panik versetzt werden. Wenn du jetzt nach konkreten Situationen fragst....Wir denken zum Beispiel nicht sehr lange über unsere Setlists nach. Oft gehen wir einfach auf die Bühne und sehen dort dann, was sich in diesem Moment richtig anfühlt. Wenn etwas dann nicht funktioniert, merkt man es schon, aber dazu muss man es erst einmal ausprobieren. Solche Dinge.

"Only Revolutions" hat mir auch wieder klar gemacht, dass ihr anscheinend eine verdammte B-Seiten-Maschine seid. Die EP zu "That Golden Rule" hat drei unveröffentlichte Songs, "The Captain" ebenso...Wenn ihr Songs schreibt, wann und warum wisst ihr dann, dass ein Song eine B-Seite zu werden hat und kein Albummaterial ist?

James: Irgendwann kommen wir beim Songschreiben an den Punkt, an dem wir das merken. Oft ist es nur ein Gefühl - weißt du, bei Musik kann man so etwas nicht exakt ausmachen, man weiß es eben. Normalerweise lassen wir den Song erst einmal eine Weile ruhen und kommen dann später auf den Song zurück: Wenn wir ihn eine Weile später noch einmal hören und er sich immer noch gut anfühlt, landet er auf dem Album, doch manchmal hat er einfach nicht mehr den selben "Vibe":

Zum Beispiel war ja auch "Eye Lids" (von der "That Golden Rule"-EP, Anm. des Autors) ein toller Song.

James: Ja, damit sind wir auch sehr zufrieden, aber wir dachten wohl einfach, dass die anderen Songs ein bisschen stärker wären. Irgendjemand wird eben immer sagen "Oh nein, dieser Song hätte auf's Album gemusst" (lacht).

Ein Song, der als eine Art B-Seite gestartet hat, war "The Captain". Dieser hat ja, als Demo, als der richtig dreckige, harte Song "Help Me Become Captain" angefangen und sich dann zu etwas entwickelt, das ihr als "Musical-type of song" beschrieben habt.

James: Ja, genau. Die Platte hat ja schon eine Menge "heavy" Songs, und auch diesen Song wollten wir "heavy" machen, aber auf andere Art und Weise, indem wir auf dem Song Sachen ausprobieren, die wir vorher noch nie gemacht haben, etwa Blechbläser einzusetzen und damit auch etwas zu tun, das sich andere Bands nie trauen würden.

Gibt es denn Dinge, die auch ihr euch nicht trauen würdet, die auch für euch zu krass anders wären?

James: Ja. Vieles. Richtig harter Reggae zum Beispiel, oder übertriebene Dance-Beats, was auch einige Bands probieren. Manchmal ist man sich da aber auch vorher nicht ganz sicher und probiert einfach herum.

Habt ihr denn öfters das Bedürfnis, einen älteren Song zu nehmen und ihn in etwas völlig Anderes zu verwandeln, wie das bei "The Captain" geschehen ist?

James: Das war wohl mehr oder weniger eine Ausnahme. Manche Songs durchlaufen solch einen Veränderungsprozess und die erste und die finale Version unterscheiden sich wirklich drastisch; manchmal fühlen sich Songs schon beim ersten Hören genau richtig an. Ich denke, manche Bands mögen ihr erstes Album nicht mehr, weil sie der Ansicht sind, dass sie besser geworden seien - was hoffentlich auch stimmt -, aber das heißt ja nicht, dass die ersten Werke nicht relevant und wichtig wären. Deswegen wollen wir auch nichts an unseren alten Stücken ändern. Hin und wieder versuchen wir eventuell, einen Song live anders zu spielen, aber wir bereuen nichts.

Ich habe gelesen, dass ihr euch als Perfektionisten bezeichnen würdet. Aber gerade als Perfektionist quält man sich doch immer mit Gedanken an Details, die man besser gemacht haben könnte?

James: Das stimmt sicherlich, aber da muss man dann einfach drüber wegsehen können. Wir haben ja auch immer lange genug an den Songs gearbeitet, um sie so perfekt wie möglich hinzubekommen.

Zu "The Captain" noch einmal: In einem Interview mit der VISIONS sprecht ihr auch über diesen Song, der ja bei vielen eurer Fans ein Stirnrunzeln verursacht habt, und gebraucht dabei das Wort "lächerlich", um manche Aspekte des Songs zu beschreiben. Das klingt fast so, als würdet ihr den Song gar nicht 100% ernst nehmen?

James: Das war wohl mehr oder weniger ein Witz. Wir nehmen den Song schon ernst, aber die ersten Male, die wir uns den fertigen Song angehört haben, mussten wir alle wirklich lachen, weil es so verrückt klang, was wir da hörten. Wir sind aber auf jeden Fall stolz auf den Song und nehmen unsere Musik natürlich ernst, aber es ist schon witzig, was wir als Rockband für eine riesige Blechbläser-Section haben.

Wirklich schwierig hätte es aber doch sein können, den Videodreh zu dem Song ernstzunehmen? (Im Video spielt die Band auf einem Piratenschiff, deren Mitglieder Simon gefangen genommen haben, Anm. des Autors)

James: (lacht) Ja, gestern wurden wir erst von einem wirklich besorgten Menschen gefragt, welche Teile des Videos ernst gemeint waren und welche einfach nur lustig sein sollten. NICHTS daran sollte ernst genommen werden (lacht erneut)! Natürlich soll es lustig sein, wenn wir uns als Piraten verkleiden. Wir wollten einfach Spaß haben und ein Video drehen, das wie ein Film wirkt.

Das Ganze erinnert ja auch etwas an "Fluch der Karibik". Simon wurde ja wohl auch nicht richtig ausgepeitscht, oder?

James: Nein (lacht).

Wenn ihr komplette kreative und finanzielle Freiheit hättet, irgendein Video zu irgendeinem eurer Songs zu drehen, was würde dann dabei herauskommen?

James: Wir hatten einmal die Idee, eine Venue einfach komplett mit einer Bühne vollzubauen, dort dann erstmal den Soundcheck zu machen, das Licht zu überprüfen und so weiter und dann auf dieser Riesenbühne zu spielen, die so groß ist, dass davor nur noch für 20 Leute oder so Platz wäre. Das wäre natürlich aber wirklich zu teuer, weil wir dafür auch eine riesige Fläche brauchten, damit es wirklich cool wirkt, das Wembley-Stadion oder so (lacht). Das würde dann vielleicht ganz gut zu "Cloud Of Stink" passen, weil der Song einfach so nach vorne geht, hart ist und rockt. Da wäre es dann besonders witzig, auf einer riesigen Bühne herumzurennen, vor der dann nur 10 Leute stehen.

Kommen wir zu einem anderen Medium: Dem Cover-Artwork. Storm Thorgerson hat dieses ja nicht nur für das Album, sondern auch für die "That Golden Rule"-EP entworfen. Dessen Artwork bezieht sich explizit auf euer letztes Album "Puzzle" - einem Menschen, der vom Betrachter wegsegelt, fehlt ein Puzzlestück in seiner Seite.

James: Vielleicht nicht explizit, aber stimmt. Das war eine kleine Idee, um zu verdeutlichen, dass wir hier zu einem neuen Album aufgebrochen sind, das sich auch von "Puzzle" unterscheiden würde. Eigentlich hat sonst niemand wirklich ein Fass deswegen aufgemacht, diese Verbindung war eigentlich auch Storms Idee. Irgendwo poetisch ist es aber schon, da es verdeutlicht, wie wir in unserem Leben voranschreiten.

Abschließend musst du jetzt auch stellvertretend für den Rest der Band sprechen: Was hätte Biffy Clyro als Band gerne zu Weihnachten?

James: (lacht) Oh, dieses Jahr wünschen wir uns mehr als je zuvor etwas Zeit alleine mit unseren Familien. Das klingt sicher etwas schmalzig, aber wenn man immer von zuhause weg ist, denkt man eben immer daran und möchte einfach relaxen. Simon wünscht sich ein Paar goldene Schuhe (lacht). Ich hätte gerne einen Turntable für alle meine Platten, weil mein alter kaputt ist. Ich bin nicht sicher, was Ben (Johnson, Drummer der Band, Anm. des Autors) gerne hätte, aber ich glaube, er würde gerne fliegen können.

Habt ihr Vorsätze für's neue Jahr?

James: Ich denke, wir würden uns gerne das Rauchen abgewöhnen. Ansonsten möchten wir einfach weiterhin dankbar sein, dass wir in einer Band sind, die uns Spaß macht, weil das bei vielen Bands wohl anders ist - dabei fängt man ja eigentlich an, Musik zu machen, um Spaß damit zu haben. Solange wir das im Hinterkopf behalten können und weiter unser Ding durchziehen, sollte das nächste Jahr super werden.

Bescheiden ist die Band, die den Foo Fighters und anderen Größen des Rock langsam, aber sicher den Rang abzulaufen beginnt, also auch noch - völlig zu unrecht, wie die wieder einmal fantastische Show an diesem Abend bewies. Was 2010 der Band noch so bringen wird, wissen wir nicht - für den Februar ist allerdings wieder die nächste Deutschlandtour angesetzt. Helga empfiehlt auch diese wärmstens - vielleicht wird Herr Neil dort ja bereits mit goldenen Schuhen zu sehen sein.

Jan Martens

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Rezension zu "A Celebration Of Endings" (2020)
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