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Record Store Day 2014


Es ist wieder so weit. Drittes Wochenende im April. Schlangen vor den Plattenläden. Laute und leise Töne zwischen den Regalen. Live-Musik. Leuchtende Augen der Musikliebhaber. Record Store Day 2014.

Längst muss man kein Nerd mehr sein, um den Record Store Day (RSD) und mit ihm die gute alte Schallplatte gut zu finden. Das künstlerisch ansprechende große Cover, das Haptische, der Geruch, das Knistern, der warme Sound. Jaja, das alles kennt man mittlerweile wieder. Es heißt sogar schon: "Vinyl kills the mp3 industry". Vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Doch der CD geht's an den Kragen, zumindest was die Coolness angeht. Beim Silberling: Fehlanzeige. Vinyl dagegen ist Kult. Es hat sogar seit Kurzem seinen eigenen Feiertag. In Deutschland wird "the biggest music event in the world" am 19. April gerade drei Jahre alt. Der große Bruder in den USA wird sieben. Die Kinderschuhe passen in beiden Fällen also noch. Und doch: Das Spannungsdreieck von Kunst, Kultur und Kommerz wird bereits auf die Probe gestellt. Jedes Jahr ein bisschen mehr. Vinyl war totgesagt, mittlerweile ist es en vogue.

Welchen Aufschwung der Record Store Day mittlerweile erlebt, beweist ein Blick auf die Zahlen. Weltweit steigt die Zahl der teilnehmenden Plattenläden von 2000 im vergangenen Jahr auf 3000 in diesem Jahr. Allein in Deutschland, Schweiz und Österreich nehmen bei der aktuellen Auflage 197 Shops teil, 2013 waren es noch gut 180. Und die exklusiven Releases beim Record Store Day Germany steigen von 415 auf 486. In insgesamt neun Ländern gibt es den RSD mittlerweile, mit unterschiedlichen Listen.

Doch was macht diesen Tag so interessant? Der Besuch im Laden? Das Stöbern? Ein intimes Konzert zwischen den Plattenregalen? Das Treffen von so vielen Vinylliebhabern auf einem Haufen und das Gefühl, dass man sich nicht ganz so alleine mit seiner Besessenheit vorkommt? Ja, das alles. Und doch ist wohl die Liebe zum Tonträger das Entscheidende. Denn im Gegensatz zum schnöden Download bringt der doch den Glanz in die Hütte. Das entscheidende Attribut ist "exklusiv". Es ist ein großes Wort. Es weckt Erwartung und Hoffnung zugleich, sich nach diesem Tag die eine, ganz spezielle Platte ins Regal zu stellen. Das treibt bei manchen Sammlern den Puls vor lauter Vorfreude nach oben. Das Spezielle für den einzelnen Musikfan ist dabei schwer zu fassen. Viele der Releases wirken relativ unspektakulär. Sie sind schlichtweg Neuauflagen mit besonderer Ausstattung oder Farbe. Stücke für Hardcore-Fans, die sich beispielsweise die "Against The Grain" von Bad Religion nun auch noch in gelbem Vinyl ins Regal stellen oder sich die Aftershock von Motörhead als Picture-Disc an die Wand hängen wollen. Oder aber schlichtweg für diejenigen Haptiker, die den CDs Lebewohl sagen und sich nun ihr Lieblingsalbum endlich auf Vinyl zulegen wollen.


Photo Credit: Joachim Frommherz

Was den eigentlichen Reiz aber für die allermeisten Musikfans wohl ausmacht, sind die Scheiben, die es zuvor noch nicht auf Vinyl gab oder gar bisher unveröffentlichtes Material enthalten. Wie etwa die "She's On It"-12" der Jon Spencer Blues Explosion. Oder aber Scheiben, die es schon lange nicht mehr regulär auf Vinyl zu kaufen gab. Beispielsweise Joy Divisions Debut "An Ideal For Living". Für manche sind es wiederum besonders gestaltete Editionen. Manche mit Signatur, andere im schnieken Boxset oder gar in im Dunkeln leuchtendes Vinyl wie die "Ghostbuster"-12" von Ray Parker Jr.

Die Attraktivität liegt eben im Auge des Betrachters. Aber eines ist allen Veröffentlichen gemein: So richtig sexy wird es erst, wenn das Wort limitiert in der Beschreibung auftaucht. Alleine schon deshalb warten die Nerds bereits einen Monat vor dem Record Store Day sehnlichst darauf, dass DIE Liste veröffentlicht wird, in der alle Veröffentlichungen aufgeführt sind. Schließlich gilt es bei manchem, schnell zu sein. Denn die Jagd beginnt für viele nicht am dritten Samstag im April. Eine Wunschliste an den Plattendealer des Vertrauens erhöht schlichtweg die Chancen, das Gewünschte auch später in den Händen zu halten. Schließlich muss der ja auch wissen, was er bestellen muss. Kaum einer dürfte nämlich tatsächlich den ganzen Katalog ordern. Und was nützt das, wenn man sich so ungemein auf die Live-LP der Pogues mit Joe Strummer freut, in den Laden wackelt, die Kiste mit den RSD-Veröffentlichungen durchwühlt und schließlich enttäuscht feststellen muss: Der Händler hat die Platte gar nicht bestellt? Und selbst wenn: ist sie besonders rar, dann bedeutet das eben auch nicht zwangsläufig, dass der Lieblingsplattenladen auch tatsächlich ein Exemplar des Wunsch-Vinyls geliefert bekommt.

Eine negative Begleiterscheinung des Hypes um das Vinyl: Ganz schlimme Finger decken sich mit rarem Zeug ein und verscherbeln dieses dann für das Vielfache des Einkaufspreises bei discogs oder Ebay, um den schnellen Euro zu machen. Und auch einigen Plattenfirmen könnte man diese – freundlich gesagt - Goldgräberstimmung unterstellen. Denn was sind bitte als "limitiert" beworbene LPs und 7", die eine Auflage von 4500 (Built To Spill – "Ultimate Alternative Waves") beziehungsweise 3000 (OFF! – "Learn To Obey") haben? Nunja, erstere ist wenigstens goldfarben und erstmals auf Vinyl zu haben, und bei letzterer müssen die Fans hoffen, dass die Tracks wenigstens nicht auf dem neuen Album drauf sind. Das Positive an solchen Auflagen: Die Chancen stehen wenigstens gut, eine Kopie davon zu erhalten.

Schön und schade zugleich: Der Record Store Day boomt in all seinen Facetten. Das merkt man an dem stetig wachsenden Angebot, der wachsenden Beliebtheit von Vinyl – und damit auch an den Preisen. Die steigen stetig und gehorchen damit der generell gestiegenen Anfrage. Früher war die LP billiger als die CD. Das hat sich geändert. Schade eigentlich. Doch das ist ein anderes Thema. Es wird interessant sein, wie sich der RSD in den kommenden Jahren entwickelt. Doch eines bleibt und wird es auch bleiben: Ein besonderer Tag, an dem eines ehemals toten Mediums gehuldigt wird. Davon kann die CD nur träumen.

Weitere Infos:
Alles zum Record Store Day 2014
Liste der RSD-Releases 2014

Joachim Frommherz

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