Rezension

Therapy?

Crooked Timber


Highlights: Enjoy The Struggle // Exiles // Crooked Timber // I Told You I Was Ill
Genre: Noiserock // Alternative Rock
Sounds Like: Rollins Band // Life Of Agony // The Wildhearts

VÖ: 20.03.2009

Als dem Ruf nach höchstassige Rockband Kant zu zitieren, hat fraglos seinen ganz eigenen Stil. Man könnte auch meinen, Therapy? wollen uns uns verarschen. „From the crooked timber of humanity, no straight thing was ever made“ protzt die Band da Weiß auf Schwarz im Booklet. Und was läge näher, dieses Zitat als leeres Phrasengedresche abzuschmettern? Nur eins: Vorurteile abzustreifen und Therapy? mit neuen Augen sehen. Denn hinter dem Zitat verbirgt sich der Ansatz, dass der Mensch erst mit all seinen klitzekleinen Fehlern liebenswert wird.

Nach elf Platten und 20 Jahren Bandgeschichte hat sich Bandkopf Andy Chairns wohl kaum selbst die letzte Sicherung im Schädel weggelötet und sich zum verkappten Literaturprofessor weitergebildet. Vielleicht hat er auch einfach Google angeworfen und obiges Zitat gefunden. Die Platte, die aus diesem Fund entstanden ist, zeigt, dass diese Band sehr wohl noch zu maßgeblichen Impulsen fähig ist.

Gerade musikalisch müssen sich Therapy? aber auf einen exotischen Lehrgang begeben haben. Schlagzeuger Neil Cooper hat wahrscheinlich einen Bruder, der Schamane eines nordamerikanischen Apachen-Stammes ist – wo sonst hätte er das polternde, grummelnde Tribaldrumming hernehmen können. Und Bassist McKeegan hat sich die böseste auf dem Markt erhältliche Basszerre zugelegt, die erhätlich war, so dass er trotz des Minus zweier Saiten Andy Chairns‘ Gitarre lautstärketechnisch in nichts nachsteht. Damit erfüllt: eines der Gebote des Noiserock. Crooked Timber“ schiebt die Melodie aus dem Bild und zerrt die Rythmik ins Rampenlicht, ersetzt Klarheit mit Zwielicht.

Kaputter klangen Therapy? bis dato nur in Momenten. Wie in „I Told You I Was Ill“, das im entscheidenden Moment den absehbaren den Sing-along-Refrain mit einem Trommelfell zerfetzenden Lärm erschlägt, der nur beim schmerzlichen genaueren Hinhören als Gitarre zu erkennen ist. „Enjoy The Struggle“ tut da keinen Abbruch, trumpft mit verspielter Rythmik und Riffs schwer wie Öltanker. Und befördert den auf ewig felsenrollenden Sisyphos zum Masochisten. Dass „Troublegum“ nicht nur erledigt ist, sondern auch kein Revival mehr erleben wird, zementiert dann gegen Ende der zehnminütige Postrocker „Magic Mountain“: Schon fast abwegig, dass diese Band einmal nach gemäßigten, wenn auch etwas ziellosen Russian Circles klingen würde. Das Meisterstück der Platte heißt jedoch „Exiles“. Einen derartigen Song, der zum selben Zeitpunkt psychedelisch, zurückhaltend, tiefschürfend, finster und in aller Urgewalt Richtung Ziellinie poltert, darf man als Karrierehighlight bezeichnen.

Seine lange Entstehungszeit sowie aufgebrachte Anstrengung merkt man „Crooked Timber“ an, gleichzeititg lässt so manche Kante, so mancher unfertiger Übergang darauf schließen, dass Therapys zwölftes Studioalbum diese kleinen Missgriffe einkalkuliert und zelebriert. Ja, sie braucht so manchen Durchlauf mehr als seine Vorgänger. Und sie hat auch ihre Schwächen. Doch macht sie das nicht liebenswert? Albumkonzept erfüllt.

Gordon Barnard

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