Rezension

The Tidal Sleep

Vorstellungskraft


Highlights: Thrive And Wither // Angst // If You Build It....They Will Come
Genre: Hardcore // Postrock
Sounds Like: La Dispute // Deafheaven // Isis

VÖ: 25.07.2014

Der Bandname und Songtitel wie „Flood Dreams“ verraten es: Das vorherrschende metaphorische Element bei The Tidal Sleep ist das Meer. Das Meer, die vielleicht kraftvollste aller Naturgewalten, potentiell zerstörerisch, in anderen Momenten beruhigend und wunderschön, (dank Ebbe-Flut-Zyklus) jedoch letztendlich perfekt mit sich selbst im Gleichgewicht – eine passende Allegorie für eine der mittlerweile wohl besten deutschen Hardcorebands.

The Tidal Sleep verlassen nämlich auf „Vorstellungskraft“ (trotz deutschen Titels bleiben übrigens englischsprachige Lyrics) immer öfter ihre ursprüngliche Hardcore-Komfortzone, bringen neue Elemente ein und lassen bereits etablierten Elementen mehr Raum. So waren Postrock-Affinitäten bereits auf dem selbstbetitelten Debüt schwer zu überhören – weitergeführt werden diese im Doppel aus „If You Build It...“ und „...They Will Come“, das seine sanft aufgebauten Gitarrenmuster sogleich wieder verwüstet. Hier stehen Bands wie Isis nicht nur Pate, auch deren Perfektion wird beinahe erreicht. Emobands der 90er lassen sich in poppigeren Strukturen und Gitarrenriffs wie jenem hören, das „Glass“ einleitet. Dass dieser Song sehr an La Dispute erinnert, eine Band der sogenannten „The-Wave“-Bewegung – es passt zur Allegorie.

Wie die meisten guten Alben, egal welchen Genres, lässt sich aber auch „Vorstellungskraft“ weniger durch Vergleiche als durch Gefühle beschreiben, die es evoziert. Und so verbreiten Gitarrenmelodien wie in „Angst“ oder „Fathomed“ eine wohlige Wärme, die durch die Vocals von Nicolas Bonifer und die Verzweiflung, die diesen innewohnt, nur noch verstärkt wird – keine aufdringliche, lästige Wärme wie bei 40 Grad im Schatten, sondern eine Wärme, die von innen herauskommt wie nach einem heißen Kakao an einem kalten Novembertag. Auch wenn Vergleichen soeben abgeschworen werden sollte – wer Deafheavens „Sunbather“ kennt, dem ist genau dieses Gefühl bekannt.

Und woher auch immer die Einflüsse kommen mögen, welche Referenzen auch immer bemüht werden mögen: „Vorstellungskraft“ ist ein Album, das in seinem Genre bislang wegweisend für 2014 ist – ein Album wie eine Sturmflut, von der man sich mitreißen lassen sollte, die aber nicht zerstört, sondern wieder aufbaut und reinigt. Eine Naturgewalt.

Jan Martens

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