Rezension
The Microphones
Microphones in 2020
Highlights: Microphones in 2020
Genre: Lo-Fi Indie-Folk
Sounds Like: Mount Eerie // Neutral Milk Hotel // Sun Kil Moon
VÖ: 07.08.2020
Phil Elverum bricht mit allen Konventionen und krönt sein existenzialistisches Lebenswerk.
Nachdem der Lo-Fi Ausnahmekünstler mit seinen letzten beiden Mount Eerie Platten den tragischen Tod seiner Frau verarbeitet hat, gräbt er das The Microphones Label wieder aus, um über existenzielle Fragen zu sinnieren.
"Death is Real [...] it's not for singing about// it' not for making into art" eröffnet das 2017er Mount Eerie Album "A Crow Looked At Me". Der Künstler, der sein ganzes Leben mit der künstlerischen Suche nach Bedeutung in der Existenz gesucht hat, scheint am Boden zerstört, lehnt jegliche Katharsis ab. Der Tod, das vielleicht prägendste Motiv der Kunst, wirkt wie ein Endpunkt in Elverums Diskographie. Doch was die Kunst ermöglicht, kann das Leben selbst nicht. Auch nach der Zäsur des Todes, dem unendlichen Schmerz, ist die Existenz nicht vorbei.
"Microphones in 2020" ist Elverums Antwort auf die Frage: Was kommt nach dem Tod? Das Album besteht aus einem einzigen Track, 44:44 Minuten lang, keine Cuts.
Sieben Minuten dauert es, bis auf "Microphones in 2020" etwas anderes zu hören ist, als die repretetive Akustik-Gittaren-Melodie aus zwei Akkorden, die mit Double-Track und Delay eine hypnotisierende Wirkung entfaltet. Eine musikalische Raffung der Zeit, die seit dem letzten Microphones Album 2003 vergangen ist, bevor Eleverum sich als Mount Eerie neu ausrichtete. Die Einfachheit der Repetetion zieht in ihren Bann, lässt die Außenwelt verschwimmen und tief in den Song eintauchen.
Elverum beschäftigt sich vor allem mit einem: sich selbst. Nicht als Narziss, sondern von innen und außen, als Beobachter, wie als Subjekt. Durch das gesamte Album ziehen sich Referenzen an sein früheres Schaffen, von den wiederkehrenden Themen aus der Naturphilosophie von "The Glow Pt.2" und "Mt. Eerie" in der ersten Textzeile "The true state of all things" über Erinnerungen an Sterolab Konzerte, Chinesische Martial Arts Filme und den Tod Kurt Cobains, zu eigenen Weggefährt*innen und seinen eigenen Anfängen als Musiker. Ein Leben, erzählt in Momenten, Eindrücken und Gefühlen.
"Microphones in 2020" ist am besten zu verstehen, wenn man es als philosophische Selbstreflexion begreift. Eleverum hat das Album nicht konzeptuell angelegt, er hat durch repetetive Archäologie in seiner früherem Werk einen Stream of Conciousness geschaffen, der sein bisheriges Leben und Schaffen verhandelt. Er beschreibt die gezielte Abkehr vom "The Microphones" Namen.
At the very end of 2002, I took the Microphones name and crumpled it up
And burned it in a cave on the frozen edge of northern Norway
I made a boundary between two eras of my life
A feeble gesture at making chaos seem organized
The roaring river carves on, laughing at my efforts
18 Jahre später gräbt er den Namen wieder aus, im Bewusstsein keine tatsächlichen Grenzen gesetzt zu haben, sein Leben nicht durch einen symbolischen Akt verändert zu haben und im Großen und Ganzen durch seine Alters nicht sein Ego verändert zu haben. Trotzdem - oder besser gerade deshalb - ist das Wiederauftauchen des Microphones alias bedeutsam, weil es die Synthese von Elverums Werk in eine einzige Betrachtung von Existenz und Bewusstsein markiert. Die Zeit schließt die Zäsuren, auch wenn sie keine Wunden heil. Elverum tauscht folgerichtig Mt. Eerie gegen The Microphones und Tod gegen Leben, Nachher gegen Vorher.
Die Referenzen zu altem, wie der pointierten Zeile aus "The Glow Pt. 2"
When I took my shirt off in the yard
I meant it, and it's still off
sind für Eleverum Ankerpunkte in seiner Sisyphos-Arbeit der Sinnsuche. Er hat sich offengelegt, seine nackte Existenz offenbart und sie in der ewigen Wiederholung verankert. Weiter singt er:
I'm still standing in the weather
Looking for meaning in the giant meaningless
Days of love and loss repeatedly waterfalling down
Kein Abschluss, keine Erfüllung, kein Sinn, keine Bedeutung. Selbst-Mythologisierung und Selbst-Zerstörung gehen ineinander über, beginnen von vorn.
Alle Enden auf "Microphones in 2020" sind ein Anfang. Das Album endet auf der gleichen Melodie, wie es beginnt, Die Albumlänge ist mit 44:44 nicht nur symetrisch, sondern auch die Hälfte von symbolischer Unendlichkeit, eine Metapher für die vermeintliche Häfte des Lebens, das Elverum mit 41 hinter sich hat. Wenn er als letzte Zeile "There is no End" singt, greift das gleichzeitig ein zentrales Thema seines Gesamtwerks, als auch die Essenz dieses Albums auf. Elverum hat erkannt, dass die finale Größe der Kunst, nicht im Tod liegt, sondern im Leben.
Microphones in 2020 ist ein Ausnahmealbum, eine Selbstzerlegung ohne Erkenntnisgewinn ein existenzialistischer Sisyphos-Akt. Wie in der Netflix Serie "Dark" wird jede Erkenntnis sogleich zerstört und wieder auf Anfang gesetzt. Erzählerisch einzigartig schafft Phil Eleverum ein Kunstwerk, dass weit mehr ist als nur Musik. Elverum spannt mit "Microphones" in 2020 ein Netz, das sein gesamtes bisheriges Schaffen verbindet und zu einem der bedeutensten Gesamtwerke der Indie-Musik erhebt.
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