Rezension

Tame Impala

Lonerism


Highlights: Feels Like We Only Go Backwards // Elephant // Nothing That Has Happened So Far Has Been Anything We Could Control
Genre: Psychedelic Rock // Dream-Pop
Sounds Like: The Flaming Lips // Ariel Pink's Haunted Graffiti // Of Montreal // MGMT // Ganglians // Deerhunter // Caribou // Yeasayer

VÖ: 05.10.2012

Sie gehören zu den großen Hypes der neuen Psychedelic-Welle: Tame Impala aus dem australischen Perth. Nicht ganz unschuldig daran ist Triple J, einer der bekanntesten Radiosender des Landes – dieser kürte "Innerspeaker", das Debüt der Band, zu seinem Album des Jahres 2010. Fast unvorstellbar, wenn man die triste deutsche Radiolandschaft gewohnt ist, wo sich experimentelle Gruppen wie Tame Impala – wenn überhaupt – nur in Nischensendungen wiederfinden. Diese Vorschusslorbeeren fungierten auch international als Karriereturbo, so dass Teile der aktuell stattfindenden Europatournee bereits vorab ausverkauft sind oder waren. Grund der Tournee: das Zweitwerk "Lonerism". Kann die Musik des Quintetts um Frontmann Kevin Parker da überhaupt Schritt halten?

In den 60er Jahren wie auf "Innerspeaker" sind die Herren jedenfalls nicht hängengeblieben – wobei das alles andere als negativ gemeint ist, denn man verstand es ausgezeichnet, die Atmosphäre des wahrscheinlich kreativsten Jahrzehnts der neueren Musikgeschichte eins zu eins in die Gegenwart zu verfrachten. Die mal schrillen und mal kühleren Synthies und breiten Halleffekte, die nun das neue Album "Lonerism" dominieren, waren damals allerdings weniger präsent. Der Opener "Be Above It" fußt noch auf einem Gerüst aus mehr als rumpeligen Drums, während die elektronischen Hilfsmittel mit ein paar schweren Akkorden für Atmosphäre sorgen und ansonsten eher Beiwerk sind – um in der Folge in "Endors Toi" aber schon herumzuschwirren wie ein Schwarm manischer Glühwürmchen.

Bisweilen ist auf "Lonerism" der Songtitel ein ziemlich sicherer Indikator für das, was den Hörer erwartet. "Music To Walk Home By" passt wirklich am besten zu einem langen Nachtspaziergang, während die erste Single "Elephant" mit Stonerrock-Gitarren im Anschlag schweren Fußes durch eine imaginäre trockene Steppe stampft. Dass Tame Impala ihre Wurzeln im Groove-Rock sehen, lässt sich auch am Beispiel von "Mind Mischief" noch sehr gut nachvollziehen. Dann allerdings hauen die Australier mit "Feels Like We Only Go Backwards" ein Stück für das Lehrbuch der Harmonielehre raus, das den Eindruck erweckt, die Band hätte nie etwas anderes gemacht, als perfekte Dreampopsongs zu schreiben. An dieser Stelle sei auch die Interpretation des Tracks durch einen US-amerikanischen Kinderchor erwähnt, die sich auf Youtube einiger Beliebtheit erfreut.

Charakteristisch für viele heutzutage veröffentlichte Alben ist eine starke erste Hälfte, während der Rest dann manchmal mit Füllmaterial vollgepackt wird. Wenn überhaupt ist es auf "Lonerism" anders herum, denn insbesondere die letzten drei Songs haben es in sich. Breite Synthie-Teppiche irgendwo zwischen Kraftwerk und dem Clockwork-Orange-Soundtrack schaffen eine gespenstisch-schöne Atmosphäre, und die durch Halleffekte erzeugten Soundwolken lassen das Interlude "She Just Won't Believe Me" und daraufhin "Nothing That Has Happened So Far Has Been Anything We Could Control" endgültig in Richtung Space-Rock davonschweben. Ganz anders der Schlusstrack "Sun's Coming Up", der so klar und reduziert daherkommt, dass daneben selbst The XX noch wie opulenter Orchesterpop wirken. Manche Kritiker mögen sagen, dass die verwaschenen Soundteppiche primär dazu dienen, Schwächen im Songwriting darunter zu kehren. Egal, denn "Lonerism" ist ein Album, das von der Vorstellungskraft des Hörers lebt – und alleine tagträumt es sich dem Titel entsprechend bekanntlich am besten.

Johannes Neuhauser

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"Feels Like We Only Go Backwards" auf Soundcloud
"Elephant" auf Soundcloud
"Apocalypse Dreams" auf Soundcloud

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