Rezension

Sharpless

The One I Wanted To Be


Highlights: The Hardest Question // Greater Than (>) // Nothing Can Change // Greater Then
Genre: J-Pop // Pop // Indie // "Post-Whatever"
Sounds Like: Animal Collective // Xiu Xiu // The Polyphonic Spree // Of Montreal // Sunset Rubdown // Weezer // Arcade Fire // Casiotone For The Painfully Alone

VÖ: 12.05.2014 (Import)

Es war eine verrückte Idee, die mit Leichtigkeit auch hätte schiefgehen können. Nachdem er einige Zeit in Japan verbracht hatte, kam Jack Greenleaf zurück nach Chicago und war so angefixt von der J-Pop-Szene, dass er kurzerhand beschloss, selbst ein J-Pop-inspiriertes Album aufzunehmen, das zudem noch Musicaleinflüsse und klassische Teen-Angst-Themen verarbeiten sollte. Für drei Jahre verkroch sich der studierte Spieledesigner also in seiner Wohnung, las Salinger und Murakami, sah sich Animes an und bastelte an diesem Album herum, das schließlich im Frühling diesen Jahres mit dem Titel „The One I Wanted To Be“ erschien. So ein bisschen Wahnsinn kann man diesem Kerl wohl kaum absprechen, doch wie auch immer er das angestellt hat, das Ergebnis spricht für sich.

Die natürlichste Reaktion bei der ersten Kontaktaufnahme mit diesem Album ist vermutlich, irritiert und überfordert zu sein. Dieses wahnwitzige, quietschbunte Feuerwerk, das Greenleaf hier abliefert, klingt ungefähr so, wie man sich Arcade Fire auf Speed vorstellen könnte. Man hat also zwei Möglichkeiten: man gibt auf, oder man lässt sich darauf ein. Wer zu letzterem bereit ist, wird schnell feststellen, wie viel Leidenschaft Greenleaf in diese Songs gesteckt hat, wie warmherzig und aufrichtig seine Texte sind und mit wie viel Besessenheit er seine Arrangements ausgefeilt hat. Man kann es kaum glauben, dass „The One I Wanted To Be“ tatsächlich komplett im eigenen Schlafzimmer aufgenommen und produziert wurde, so klar und ausgewogen klingt hier alles. Sängerin Montana Levy trägt als Gastmusikerin ihren Beitrag dazu bei, dass sich die teils messerscharfen Vocals schnell im Gehörgang festsetzen und man sich schon bald dabei ertappt, in die hymnischen Kampfansagen gegen die eigenen Ängste und Unsicherheiten mit einzustimmen.

Greenleaf bleibt über das gesamte Album seiner Grundidee eines reinen Popalbums treu und vermeidet es, seine Texte unnötig zu verkomplizieren. Er weiß wie er formulieren muss, um Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne dabei banal zu klingen. So ambitioniert „The One I Wanted To Be“ als Projekt auch sein mag, baut sich in keinem Moment eine artifizielle Distanz auf. Vermutlich würden diese Songs auch ohne die dutzenden von Soundschichten, in die sie eingehüllt sind, problemlos funktionieren, doch gerade dieser seltsam anmutende Grundcharakter des Albums macht es zu so einem reizvollen Hörerlebnis, auch wenn man sicherlich nicht immer in der Stimmung für Greenleafs überdrehte Ausbreitung seines Innenlebens ist.

Doch wenn es einen einmal gepackt hat, landet man immer wieder bei diesem Album und baut eine immer enger werdende Bindung zu diesen Songs auf, wo sie einem doch so oft aus der Seele sprechen. Das Gefühl der Heimatlosigkeit, Zukunftsängste, nostalgisches Nachtrauern vergangener Zeiten – es sind Situationen, denen wir uns letztlich alle in bestimmten Lebensphasen ausgesetzt fühlen und die einem „The One I Wanted To Be“ so nahegehen lassen. In einer kleinen Erklärung zum Album schafft es Jack Greenleaf, die Essenz seines Zweitwerks auf den Punkt zu bringen:

„When I came back from Japan, I felt like I had stepped into an alternate timeline. Familiar faces seemed like distant skyscrapers, and I found myself running my hands under cold water to wake myself up. Everything was coming loose and separating. I felt i was doing the same. I felt so far away from home. But I never felt alone.“

Spätestens wenn im abschließenden „Greater Then“, das für Greenleafs Verhältnisse erstaunlich ruhig geraten ist, seine Freunde aus seiner alten Heimat New York, allesamt Teil des gemeinsamen Künstlerkollektivs „The Epoch“, sich mit kurzen Gastauftritten zu Wort melden, versteht man, was er damit sagen will. Genau in dem Moment, als der Song Gefahr läuft, rührselig zu werden, schafft er den Absprung und lässt einem mit diesem Gefühl zurück, das man nur bekommt, wenn man weiß, dass man gerade etwas Besonderes gehört hat, etwas das einem wahrlich nicht alle Tage begegnet.

Kilian Braungart

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