Rezension

Rich Aucoin

We're All Dying To Live


Highlights: Brian Wilson Is A.L.i.V.E. // It // Watching, Wishing, Waiting // Undead Pt. 2 – Reconciliation
Genre: Elektropop
Sounds Like: Beach Boys // Daft Punk // Arcade Fire

VÖ: 28.09.2012

Die halbe Nation hat Rich Aucoins bekanntester Song diesen Sommer schon erreicht und trotzdem werden hierzulande wohl nur die wenigsten das Kind beim Namen nennen können. „Rich wer?“, werden sich die meisten vielmehr fragen und felsenfest überzeugt sein, noch nie etwas von dem Kanadier aus Halifax gehört zu haben. Dabei hätte „It“, das Lied, zu dem Thomas Müller die ganze EM über fleißig auf unseren Mattscheiben trainierte, während in der DFB-Küche frisches Gemüse in der Pfanne angebraten wurde, nach allen Regeln der Werbekunst doch eigentlich ein waschechter Hit werden müssen. Uneigentlich war der gemeine Fußballfan in den Halbzeitpausen aber offenbar zu sehr damit beschäftigt, sich über Fehlentscheidungen des Schiedsrichters zu echauffieren, um dieser unwiderstehlichen Mitsinghymne die Beachtung zu schenken, die sie verdient gehabt hätte.

Man kann nur hoffen, dass sich daran mit der Veröffentlichung von Aucoins Debüt-LP in Deutschland nun etwas ändert, wird er doch in seiner Heimat Nova Scotia nicht zu Unrecht als der neue Superheld der Indie-Szene gefeiert. Wie kaum ein anderer weiß Aucoin nämlich mit seiner spitzbübischen Unbekümmertheit und Experimentierfreude die Massen anzustecken – und das live genauso wie auf Platte. So waren an den Aufnahmen zum Album ganze 500(!) Freunde, Fans und Bekannte aus ganz Kanada beteiligt, darunter etablierte Musikerkollegen, aber auch zahlreiche Chöre, deren Rolle auf Konzerten natürlich das feuchtfröhlich feiernde Publikum übernehmen muss – ein konfettireicher Usus, der Aucoins Live-Auftritten längst legendären Status eingebracht hat. Aucoin nutzt Bühne wie Platte als Spielplatz, auf dem er sich nach Herzenslust austoben darf, ohne dass ihm jemals ein Erwachsener mit altklugen Sprüchen reinpfuschen könnte. Für ihn gibt es scheinbar keine künstlerischen Grenzen, keine zu abgefahrenen Ideen oder unrealisierbaren Projekte. Sein Motto ist ganz klar: Geht nicht, gibt’s nicht. So gehören auch die beiden von Noah Pink produzierten Videos zu „It“ und „Brian Wilson Is A.L.i.V.E.“ ohne Zweifel zu den ambitioniertesten und geistreichsten Musikclips der letzten Jahre, bei denen Film- und Musikfans gleichermaßen auf ihre Kosten kommen – fettes Grinsen im Gesicht garantiert.

Mit seiner ausgeprägten Extravaganz und seinem Hang zu ganz großen Gesten erinnert Aucoin auf „We’re All Dying To Live“ immer wieder an Sufjan Stevens' Großtat „Illinois“, was schon allein aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit zwischen den Covern beider Alben wohl kaum ein Zufall ist. Dazu kommen formale Parallelen wie genau 22 Tracks mit teilweise ungewöhnlich langen Titeln, von denen die meisten gar keine richtigen Songs darstellen, sondern vielmehr lediglich als Intros, Outros oder Zwischenspiele dienen, um auf der so eklektischen Platte fließende Übergänge zwischen verträumtem 6-Minuten-Epos („All You Cannot Leave Without“), Kinderchor-Beach-Boys-Hommage („Brian Wilson Is A.L.i.V.E.“), Synthpop à la Daft Punk („Push“), stampfender Superman-Hymne („Watching, Wishing, Waiting“) und aufgedrehtem Zweiteiler über das Wesen von Beziehungen („Undead Pt. 1 – Estrangement“ & „Undead Pt. 2 – Reconciliation“) zu schaffen – und zwar mehr als erfolgreich. Denn auch wenn dieses Konzept bei Rich Aucoin letztlich nicht ganz so wunderbar aufgeht wie bei Stevens' überragendem Bundesstaaten-Projekt, funktioniert es allemal gut genug, dass man sich auch hierzulande endlich einmal seinen Namen merken sollte.

Paulina Banaszek

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