Rezension

Oneohtrix Point Never

Age Of


Highlights: The Station // Same // We’ll Take It
Genre: Experimental // Elektronik // Pop
Sounds Like: Lapalux // Brainfeeder // James Blake

VÖ: 01.06.2018

Macht es die Apokalypse besser, wenn sie einen perfekten Soundtrack hat? Eindeutig ja. Daniel Lopatin liefert den feinsten Beitrag zur Dystopievertonung seit Stephen Colberts Imitation einer Atombombenexplosion. Nachdem letztes Jahr das Filmfestival Cannes Lopatin als besten Filmkomponisten ausgezeichnet hat, erscheint es logisch, sich nach filmischen Fantasien nun wieder der Realität zu widmen. "Age Of" versteht sich als Kommentar zur aktuellen Weltlage. Dass Lopatin es schafft, trotz dem ausgiebigen Gefrickel stellenweise poppig und nahbar zu klingen, ist wohl einfach seinem krassen Talent zu verdanken. Und natürlich dem Talent seiner Mitmusiker, allen voran James Blake, der ihm nicht nur an den Instrumenten, sondern auch als zusätzlicher Produzent zur Seite stand. Seine Handschrift ist deutlich erkennbar und das passt wie leuchtende Katzen zu Atommüll – aber dazu später.

Oneohtrix Point Never beginnt "Age Of" mit der synthetischen Version eines Cembalos. Die Transformation in die Midi-Welt reißt das barocke Instrument hart aus seiner naturgemäßen Klangwelt. Normalerweise klingt ein Cembalo immer gleich laut, egal wie fest man eine Taste anschlägt. OPN kommentiert: „I wanted to parallax it to the point where it could scream and talk and tell the story of civilization in a monsterous way, the way it should be heard.“ Mechanisches Husten und Schleifen betten diesen Sound ein und machen den immensen Druck dieser Zivilisation spürbar. Klassisches Instrument der Oberschicht zerfetzen – Check!

„The Station“ hat OPN ursprünglich für Usher gepitcht, der fand ihn zu strange. Überraschung? Naja, etwas. Zumindest im Vergleich zu den anderen Songs auf „The Age“ hat man es hier mit einem Popsong zu tun. Eine sexy Bassline trifft auf schwebenden Echo-Autotune-Gesang. Usher, wer nicht will, der hat schon. Jetzt singt OPN selbst und der Hörer vermisst nichts. Es klingt genau richtig. Jeder Song des Albums erzählt so eine kleine Anekdote. Vor allem, weil Lopatin dialogisch arbeitet. Zusammen mit Anohni (Anthony And The Johnsons) schafft er mit „Same“ ein genauso kurzes wie wuchtiges Bild einer verstörten und ewig träumenden Maschine. „Raycats“ wiederum widmet sich genmanipulierten Katzen, die leuchten, wenn sie sich radioaktiver Strahlung nähern, um dadurch zukünftige Generationen zu warnen. (Das Ganze ist ein Gedankenspiel der Human Interference Task Force, die sich aus wissenschaftlicher Sicht mit den Problemen der Endlagerung beschäftigt.) Zu dem Song steuert Eli Keszler perkussive Elemente bei, die Klappern wie der Müll, zwischen dem diese verstrahlten Kreaturen herumirren. Darüber liegen Synthflächen und Wortschnipsel. Das klingt dann genauso verrückt, wie man es erwartet.

In Kombination mit vertrauten Musikern und Produzenten und neuen Begegnungen schafft Lopatin ein Werk, das nicht nur auf Seite der Interpreten viele Gesichter hat. Es wirkt wie eine best of freaky Shit, eine Compilation von Civilisation-Fails und in seinen besten Momenten eben wie ein Soundtrack zum dystopischen Kopfkino selbst. Große Verbeugung, Herr Oneohtrix Point Never.

Peter Heidelbach

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