Rezension
OFF!
First Four EPs
Highlights: Darkness // Jeffrey Lee Pierce // Blast
Genre: Hardcore Punk
Sounds Like: Black Flag // Circle Jerks // Red Cross
VÖ: 14.12.2010
Keith ziehst du jederzeit Henry vor? “Nervous Breakdown” ist der größte Hardcore-Song aller Zeiten? Du besitzt noch einen altmodischen Plattenspieler? Toll, du stellst die Zielgruppe für ein weiteres Unterfangen der Trenddiktatoren “Vice” dar, ein längst abgesoffenes Musikgenre zu reanimieren und mundgerecht zubereitet unter aufmüpfige Berufsteenager zu streuen. Nach dem weithin unbeachteten Versuch, die Garage-Punk-Legenden Dead Moon zum Soundtrack für die nächste Hipster-Koksparty zu etablieren, kommt nun klassischer L.A.-Hardcore. Ein Unternehmen, das in Zeiten von Bollo-, Rap- und Deppencore eigentlich zum Scheitern verurteilt wäre, würden hier nicht Keith Morris (Black Flag/Circle Jerks), Steven McDonald (Red Cross), Dimitri Coats (Burning Bridges), Mario Rubalcaba (Rocket From The Crypt) und Raymond Pettibon die kreativen Zügel übernehmen. Der zu Tode gerittene Begriff “Supergroup” trifft hier zumindest im engen Hardcore-Korsett zu. Und die Musik klingt natürlich genau so wie damals: Gehe zurück auf Los und ziehe trotzdem DM 4.000 ein.
Natürlich sollte nun jeder Interessierte bereits wissen, wie die Musik von OFF! klingt. Wer Hardcore-Punk dagegen primär mit Hatebreed verbindet: Auf “First Four EPs” befinden sich 16 Variationen des Black-Flag-Klassikers “Nervous Breakdown”, welche sogar dessen Aufnahmesound akkurat emulieren. Die vier Singles dauern mit 17 Minuten Spielzeit wohl so lange wie ein einziger Dream-Theater-Jam und der längste Song überquert nach epischen 1:33 Minuten endlich die Ziellinie. Breaks oder Experimente werden hier weder eingesetzt noch überhaupt benötigt: “First Four EPs” reduziert Hardcore-Punk auf seine puristischsten Bestandteile.
Untermalt wird diese feingeistige Musik von Texten, welche die Finesse und glücklicherweise auch die Wucht eines donnernden Faustschlags besitzen. Fundamentale Wahrheiten brauchen eben keine verschnörkelte Ausdrucksform: “Darkness / Our veins / Darkness / We’re trained / You’re the problem / You’re the pollution / We’re the solution!” Wir gegen euch. Möget ihr elendig verrecken.
Doch der eigentliche Star auf “First Four EPs” ist nicht die Musik: Raymond Pettibon, längst in den renommierten Kunsttempeln dieser Welt gelandet, hat sich auf seine Wurzeln besinnt und sämtliche Artworks in seinem unverkennbaren, ikonographischen Comicstil gestaltet. Zudem wurde für jeden Song der ersten EP ein stimmiges Video gedreht. “First Four EPs” wird so zu einem multimedialen Gesamtkunstwerk, bei dem die eigentliche Musik nur eine beigeordnete Rolle spielt.
Paradoxerweise entpuppt sich das Album gerade durch seine altmodische “vinyl only”-Veröffentlichungspolitik schnell als unhandlicher Luxusartikel. Natürlich sieht die vierfache 7”-Box unglaublich schick aus. Allerdings werden nur die wenigsten das Album in seiner ursprünglichen Form durchhören und alle zwei Minuten die Plattenseite wechseln. Der Großteil wird wohl schnellstmöglich den beiliegenden Download-Zettel einlösen. Rational gesehen ist “First Four EPs” also eine Veröffentlichung, die keine Daseinsberechtigung besitzt und bloß die erste und wichtigste Black-Flag-Single auf Albumlänge ausdehnt. Trotzdem macht das Off!-Album Spaß, nicht zuletzt, weil es sich heutigen Komplexitätsansprüchen vollständig verschließt und den Hörer in einfachere Zeiten zurückversetzt, in denen Rocksongs noch die großäugige Überzeugung besaßen, an die bestehenden Verhältnisse pinkeln zu können. Und ja, die Aufmachung ist eben wirklich atemberaubend.
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