Rezension

Neil Halstead

Palindrome Hunches


Highlights: Digging Shelters // Wittgenstein's Arm // Tied To You // Full Moon Rising
Genre: Singer-Songwriter // Indie-Folk
Sounds Like: Nick Drake // Mark Kozelek // Scott Matthew // Alexi Murdoch

VÖ: 09.11.2012

Der November ist wohl der deprimierendste Monat im ganzen Jahr. Die letzten Sonnenstrahlen sind schon seit einer gefühlten Ewigkeit passé, und die einst so bunten Wälder und gelben Stoppelfelder des goldenen Oktobers existieren auch nur noch in irgendwelchen Liederbüchern hiesiger Pfadfindergruppen. Stattdessen gibt’s nur noch einen Einheitsbrei aus Kälte, Nässe, Dunkelheit und unerträglicher Vorweihnachtsdekoration in den Schaufenstern der Einkaufsläden. Wie soll man es da nur schaffen, nicht in Traurigkeit und Melancholie zu versumpfen?

Wie so oft lautet die Antwort auch hier wieder einmal Musik, die uns abermals vor einer anhaltenden Herbstdepression bewahrt – dieses Mal in Form von Neil Halsteads drittem Album „Palindrome Hunches“. Und eines schon mal vorneweg: Dieses Album hat nicht nur das Potenzial, eine aufkommende Herbstdepression zu verhindern, es ist darüber hinaus so voller Wärme und Inspiration, um uns auch vor Winterkälte, Frühjahrsmüdigkeit und Sommerloch zu bewahren.

Warum dem so ist, wird schon bei der Produktion des Albums mehr als deutlich. Statt es immer und immer wieder in den sterilen Räumen eines Studios einzuspielen, begab sich Neil Halstead mit seiner Band und seinem Produzenten Nick Holton für ein Wochenende hinüber in den Musikraum einer Grundschule, in dem normalerweise die Kinder von Holton in Rhythmus und Melodie unterrichtet werden, um das Album dort live aufzunehmen. Dieses Vorgehen allein hatte schon zur Folge, dass die Aufnahmen von "Palindrome Hunches" unglaublich natürlich, spontan und warm klingen – kleinere Verspieler inklusive.

Doch wer in Anbetracht der unkonventionellen Räumlichkeiten einer Grundschule nun befürchtet, dass diese Gegebenheiten das Album nach einer Kopie von Rolf Zuchowski klingen lassen, sei beruhigt. Schon die ruhigen, melancholischen Anfangstöne des fantastischen Openers „Digging Shelters“ gefolgt vom sanften „Bad Drugs And Minor Chords“ zeigen im Wesentlichen auf, wo der Rest des Albums hingeht. Gedämpfte Akustikgitarren, reduziertes Piano, Violinen und Halsteads ruhige, fast schon flüsternde Stimme, die teilweise sogar Vergleiche mit einem Nick Drake gestatten („Full Moon Rising“), lassen einen unfassbar schönen und warmherzigen Folksound entstehen, weit entfernt von kindlichen Liedern und unnötigen Arrangements.

Spätestens beim Stück „Wittgenstein's Arm“ wird aber auch klar, dass dieses Album trotz seiner Wärme auch seine traurigen und dunklen Momente hat. Der Song erzählt die wahre Geschichte des österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein, dessen rechter Arm im ersten Weltkrieg amputiert werden musste und der darüber hinaus auch drei seiner Brüder durch Selbstmord verlor. „Death runs deep in this family / Write a song for the left hand only / I lost my arm in the first great war / wish I never learned that piano before.” Dennoch werden auch diese herzergreifenden Zeilen vom ehemaligen Slowdive-Frontmann so voller Liebe und Herzlichkeit erzählt, dass man keine Angst haben muss, beim Hören doch noch in herbstliche Schwermut zu verfallen.

Wenn man am Ende der insgesamt elf Songs noch etwas kritisieren müsste, dann vielleicht höchstens die minimale Eintönigkeit am Ende des Albums, geschuldet der durchweg gleich bleibenden Instrumentierung und der Stimmung, die die Platte vermittelt. Doch sind wir mal ehrlich, wer würde beim Blick aus dem Fenster nicht alles dafür geben, statt Kälte und Ungemütlichkeit etwas monotone Wärme und Geborgenheit zu erhalten?

Benjamin Schneider

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