Rezension
Matana Roberts
Coin Coin Chapter Two: Mississippi Moonchile
Highlights: Amma Jerusalem School // Was The Sacred Day // Woman Red Racked // Thanks Be You // Benediction
Genre: Avantgarde-Jazz // Wordspeak // Soul // Blues // Gospel
Sounds Like: Colin Stetson // John Coltrane // Art Ensemble Of Chicago
VÖ: 27.09.2013
Soviel gleich vorneweg: Matana Roberts ist eine absolute Ausnahmekünstlerin. In Chicago geboren, in New York City beheimatet, ist die Afroamerikanerin künstlerisch zwischen verschiedensten Performance-Medien – Improvisation, Tanz, Dichtkunst, Theater, Komposition, Saxophon oder Gesang – verwurzelt. So spielt Roberts auch auf dem Album "Coin Coin Chapter Two: Mississippi Moonchile" viele Rollen – Solistin, Komponistin, Biographin, Folksängerin und Musikwissenschaftlerin – durch den enormen Fundus an Können, an dem sie sich zu bedienen vermag. Sie versteht es, in einem von ihr entwickelten, neuen konzeptuellen Ansatz geschickt Erzählungen, Geschichte und politischen Ausdruck in improvisierten Jazzstrukturen zu verpacken und umfasst mystische Wurzeln und Traditionen amerikanischen kreativen Ausdrucks in ihrer Musik.
"Mississippi Moonchile" ist der zweite Teil ihres mehrkapiteligen Zyklus "Coin Coin" mit verschiedensten Musikern mit verschiedensten Hintergründen, die meisten aus dem Dunstkreis New Yorks oder Montreals, wo das Label Constellation Records beheimatet ist. Dieses Label, eine Institution der guten Musik abseits jeglicher Konventionalität, lud sie 2010 dazu ein, "Coin Coin" zu vertonen und veröffentlichen. Für dessen zweites Kapitel, "Mississippi Moonchile", kristallisierte sich ein New Yorker Jazz-Sextett als Band heraus, das so schon seit einigen Jahren mehrfach zusammenspielte. Aufgenommen wurde die Platte in Brooklyn, gemixt im legendären Hotel2Tango in Montreal, wo sämtliche Großartigkeiten Godspeed You! Black Emperors, aber auch Arcade Fires "Funeral" aufgenommen wurden.
Roberts selbst sagt, sie versuche einen "einzigartigen, sehr persönlichen experimentellen Sound" zu kreieren, der Menschen jeglicher Facon dazu anregt, "aufzustehen, sich eine Stimme zu verschaffen". In ihrer perfekten Welt ist die "Idee der Unterschiede eine Illusion", welche nur die Grundlage für ökonomische Unterschiede und elitäre intellektuelle Hierarchie schaffen soll. Diese Grundidee hinter ihrem Sound und dem gesamten Projekt schafft eine Einigkeit des Sounds zwischen ihr und allen Mitstreitern, alles arbeitet auf ein großes, einiges Ziel, eine Vision hin, die als roter Faden auf dem gesamten Album durchklingt. Ohnehin – obgleich dieses in 18 Kapitel unterteilt ist, ist es ein ununterbrochen durchkompositioniertes Stück Musik, eine Symbiose aus Improvisationskunst und thematischer Sinnhaftigkeit. Einzelne Stücke zu hören wäre ungefähr so, wie ein Kapitel eines Buches zu lesen, ohne den Rest zu kennen. So könnte "Mississippi Moonchile" dem Begriff des Albums natürlich gerechter nicht werden und ist sogar noch besser als das einzigartige erste Kapitel Coin Coins, "Gens de couleur libres".
Textlich klassifiziert sich das Album in Erzählungen, Historie – stets fragmenthaft vorgetragen – und Gesang, häufig nur zur Betonung oder Untermalung. Roberts großartige Soulstimme wirkt so in diesen Momenten durch ihre herausstechende Besonderheit nur noch kraftvoller. In all ihrer Tiefe vermag sie den Hörer zu berühren und aufzuwühlen, wenn sie sich nach einem Pamphlet über die Situation Schwarzer in Nordamerikas zu einem "I sing because I'm happy, I sing because I'm free" erhebt und dieses Motiv auch noch an verschiedenen Stellen des Albums auftritt (u.A. "Was The Sacred Day"). Auch die Zusammenarbeit mit dem Opernsänger Jeremiah Abiah, dessen schwerer Tenor den Kontext eines Jazzalbums aufsprengt und sich gleichzeitig in ihn fügt, gelingt – besonders im finalen Stück "Benediction" zu hören.
Roberts ist eine Ausnahmekünstlerin, die so viel Spirit und Energie hat, dass Mitte letzten Jahrhunderts wohl jedem Kellerclub, in dem sie gespielt hätte, das Dach weggeflogen wäre. Eine Kunst von enormer Vielfalt, die so zeitlos ist, dass sie ohne Probleme auch in den frühen fünfziger Jahren verortet werden könnte, wenn auch natürlich damals die Rassenproblematik noch ganz andere Züge annahm. Dennoch spannt Roberts den Bogen über das heutige Leben Schwarzer in Nordamerika und die Geschichte ihrer Ahnen, welche vor allem auch im ersten "Coin Coin"-Kapitel thematisiert wird, und sie spannt ihn zwischen Optimismus, Historie und Realismus, so wie auch die Musik sowohl sperrig als auch zugänglich ist.
"Mississippi Moonchile" ist ein wahres Schmuckstück des künstlerischen Ausdrucks und der Innovation. Nicht nur für den Jazzliebhaber, für welchen diese Mischung verschiedenster Stile wie Dixieland, Bebop oder Blues ein Segen ist. Jeder, der an Musik abseits von Pfaden des Konventionellen interessiert ist, sollte dieses inspirierende Album hören.
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