Rezension

Karpatenhund

Nr. 3


Highlights: Szene 1 // Kein Wort Mehr // Stunts
Genre: Deutschpop
Sounds Like: Juli // Anajo // Kim Frank // Lemonheads // Weezer // Ash // Hund am Strand

VÖ: 11.05.2007

Es ist schon erstaunlich, wie viele Leute plötzlich die Locas in Love kennen. Der Live-Auftritt im Frühjahr 2006 als Support von Arab Strap – mit denen sie im Herbst auf spezielle Einladung noch einmal touren durften und deren Malcolm Middleton auf einem Lied des Albums „Saurus“ zu hören ist – dieser Live-Auftritt wirkte wie von einer mittelmäßigen Schülerband und ließ nicht erahnen, welche Qualität das Album haben könnte, sollte, würde. Offenbar jedoch haben die Locas in Love von der anlaufenden PR-Kampagne für das Karpatenhund-Album – „(Karpatenhund) #3“ profitiert, nicht zuletzt wurde eben auch Saurus durch EMI, bzw. Virgin vertrieben. Aber eigentlich geht es hier ja um Karpatenhund.

Karpatenhund, die Band, die Locas in Love plus Sängerin Claire ist. Die Band, die zudem gegründet wurde, um – laut Selbstbeschreibung – den von Locas In Love vertrauten Alles-Selbermachen-Ansatz (aka DIY) mit einer „cool indie music / coolem schrägem Indiepop“ zu verbinden, der unelitär, zugänglich und vor allem eine Chance erfolgreich zu sein haben sollte. Dieser Ansatz provoziert offenbar, denn Karpatenhund spalten.

1. Karpatenhund sind Scheiße. Karpatenhund nerven. Könnte man zumindest denken, wenn man sich in Internetforen rumtreibt – oder auch Zeitschriften liest. Einige Zitate: „Karpatenhund war die schlimmste Vorband, die ich je gesehen habe. Dia [sic] haben das ganze Razorlight-Konzert versaut.“ „Schützenfestschlagerpop.“ „fürchterlich überflüssig.“ „Grauenhafte Band.“ „Locas In Love geben ja offen zu, dass das ihre Band "zum Geld verdienen" ist.“ „Karpatenhund,…finde ich grauenvoll...“ „die sind tatsaechlich noch schlimmer als silbermond und stuermer.“ „die zielgruppe rekrutiert sich aufm zivi-lehrgang.“ „schlimme band, die im südlichen raum sehr erfolgreich werden könnte, wo ein großteil der zurechnunsfähigen menschen ja tatsächlich sportfreunde stiller hört, weil das so lustige und sympathische burschen sind.“ „Musikindustrieopfer. Gartenjäten beim Labelboss 2010.“ „G-Dur – D-Dur – A-Dur – H-Moll“ „Für die progressiven Lehramtsanwärterinnen“

Die Kritik an Karpatenhund scheint großteils einem Abwehrreflex zu entstammen, der sich pauschal gegen alles richtet, was in erster Näherung eine ähnliche Richtung wie Juli, Silbermond, Christina Stürmer einschlägt, im Weiteren dann Anajo oder Virginia Jetzt! ähnelt oder ansonsten entweder Revolverheld oder den Sportfreunden nahe kommt. Dabei entsteht selten ernsthafte Kritik sondern meist nur plattes Abwatschen. Durchaus berechtigt lässt sich Claire Oelkers Gesangstil bemängeln, oder aber sagen, es handele sich immer um die gleiche langweilige Songstruktur, was überspitzt schon mal in einer Formulierung wie „Liquido-Rock mit Wir-Sind-Helden-Pop mischen“ mündet.

Wo WSH kaum ein Vorwurf sind und ich die meisten anderen Vergleiche zwar nachvollziehen – aber nicht akzeptieren – kann, stößt mir der Bezug zu den zu recht vergessenen Liquido doch übel auf. Trifft aber viel mehr als anderes, haben doch diese vor nunmehr zehn Jahren schon versucht, Weezer und Ash und ein bisschen Blink 182 für den deutschen Markt zu destillieren.

2. Karpatenhund sind grandios. Karpatenhund begeistern. OK, so überspitzt positiv sollte ich das vielleicht nicht stehen lassen, aber Karpatenhund machen heimliche Lieblingslieder, die man wirklich mögen kann. Heißt, aus ihrer Erfahrung – sieben Jahre Locas, sieben Jahre Unser kleiner Dackel, unzählige Gigs – und ihrer Kenntnis der Pop-Musik der letzten 50 Jahre, schaffen die fünf Mittzwanziger Hits, Hits, Hits. Das funktioniert – wie schon bei Locas – in meinen Augen deutlich besser auf Platte als live. Aber es bleibt dabei: #3 enthält zwölf – zumeist – unpeinliche Powerpop-Songs, die natürlich versuchen, ein Publikum unter Heranwachsenden zu finden, aber College-Rocker wie Weezer oder die damaligen Teenager von Ash haben mit ihren Debüts einen ganz ähnlichen Weg genommen und dabei so nebenbei sogar die ach so coolen Nerds gewonnen. Die Bezüge heißen also „1977“, „Weezer (Blue)“ oder sogar Lemonheads – und Evan Dando war ja auch ein Teenie-Idol. Betrachten wir es ehrlich, haben wir auf deutsche Vertreter dieser Musik jetzt lange genug gewartet. Im Vergleich zu – den peinlichen heimlichen – Powerpoppern der jüngeren Vergangenheit, denen Karpatenhund mit Sicherheit ihren Major-Deal verdanken, rangieren die Texte der hündischen L(iebesl)ieder lyrisch und inhaltlich zwei Ligen höher, verbreiten dabei aber – bisher – keine „schmuse-postlinken“ Haltungen, sondern konzentrieren sich auf den – erfolgreichen – Versuch, Gefühle in Worte zu fassen.

Karpatenhund in einen Topf mit der Mehrzahl deutschsprachiger Bands der letzte fünf Jahre zu werfen, ist einfach, sich mit ihnen auseinanderzusetzen kann schwer fallen. Wer es nicht wagt, dem sei gesagt: I like it, so F*ck *ff. Oder hör’ halt Locas In Love, die haben es auch verdient. Nicht zuletzt ist ihr Album „Saurus“ ein wunderbares klassisches Indie-Album im besten Stil der 90er Jahre, das irgendwo zwischen sich selbst, Sharon Stoned, Hip Young Things oder sogar The National changiert, und dessen Einfluss auf die Entstehung von #3, man z. B. in „Oh Ja“ durchaus heraushören kann. Womit wir wieder bei der Erkenntnis wären, dass sich die Auseinandersetzung mit Karpatenhund lohnt. Sicher!

Oliver Bothe

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