Rezension

Kante

Die Tiere Sind Unruhig


Highlights: Alle 7 Tracks ein Highlight!
Genre: Psychedelic-Indie-Jazz-Prog-Pop-Rock
Sounds Like: Tocotronic // Go Plus // Die Sterne // Mogwai

VÖ: 04.08.2006

Ich lege diese Platte zum wiederholten Male in den Player und jedes mal wieder sehe ich mich an Bord eines riesigen, klobigen Containerschiffes. Das Schiff befindet sich auf hoher See, der Himmel ist düster, wir fahren in die Nacht. Ich stehe an der Reling und schaue fasziniert auf die dunkle Meermasse, die sich im Rhythmus der Wellenbewegungen immer näher und wieder fortbewegt. Diese unruhige Oberfläche zieht magisch in den Bann. Einerseits gibt es diesen unheimlichen Sog, der einen verlockt, in die Tiefe zu springen, um zu sehen, was einen dort erwartet. Andererseits hält die natürliche Angst vor dem Ungewissen und der Tiefe und ihrem unheimlichen Dunkel zurück.

Es ist laut und viel zu still, die Luft ist dünn, man kann den Schlag der Herzen spüren... und plötzlich sind Kante neben und in mir. Sie haben den Sprung gewagt, waren dort unten im Dunkel, sind zurückgekommen und berichten davon. Eigentlich müssten ihre Erzählungen fröstelnd machen, aber sie legen ihre vertonten Bilder von Tiefe, Dunkel, Unheil und körperlichem Schmerz, der durch alle Venen und Nerven fließt und durch Erlebtes und Gefühle hervorgerufen wird, wie eine wärmende Wolldecke um den Körper. Und die lullt herrlich ein, lässt alles Gesehene und Geschehene in warmem Licht erscheinen, die harten Konturen böser Ahnungen werden weicher, das Dunkel behält seine Faszination, verliert allerdings jeden bedrohlichen Zug.

Die Luft schwül, schwer, mit angenehmen Druck und ich bewege mich auf diesem scheinbar menschenleeren Schiff vorwärts. Schaue hier und da durch die Metalltüren in mir fremde Räume, entdecke Winkel und Plätze, an denen ich niemals war und Dinge, denen ich nie zuvor genügend Aufmerksamkeit schenkte.

Von den metallenen Decken einiger unwirtlicher Räume tropft Kondenswasser auf den mit Rostbeulen verseuchten Boden...die Atmosphäre ist energiegeladen und gleichzeitig angenehm bleiern. Plötzlich spüre ich einen frischen Luftzug, stehe vor einer riesigen Tür und kann durch die Bullaugen sehen, dass in dem dahinterliegenden Raum eine Riesenparty im Gange ist. Der Türsteher rappt mich an, dass, wer jetzt noch nicht drin ist, auch nicht mehr reinkommen wird...macht nichts, sollen sie halt weiterfeiern, ich habe hier draussen viel wichtigeres zu tun.

Ich setze meinen Weg durch das Dunkel fort, bis der letzte Ton von Kante verklungen ist. Am Horizont erscheint das erste Licht des Tages und, obwohl die Musik aus ist, klingt das Outro ewig in mir weiter. Es wird langsam Tag, und es wird ein schöner Tag. An dessen Ende wird wieder das Dunkel warten, und es wird ein schönes Dunkel werden. Denn da wartet auch meine Wolldecke...

Kante sollen sich musikalisch sehr verändert haben. Liest man. Sie haben sich tatsächlich verändert, bislang mit jedem Album. Und mit jeder Platte haben sie kontinuierlich ihren Weg fortgesetzt, sind niemals stehengelieben. Wer die Entwicklung vom Erstling bis heute verfolgt, wird feststellen, dass sie mit jedem Werk gereift und musikalisch immer verändert wiedergekehrt sind. Stillstand passt nicht zu Kante: Die Bilder müssen weiter mit Farben gefüllt werden, Begrifflichkeiten greif- und sehbar, Gefühle hör- und Unerhörtes fühlbar gemacht werden.

Wer Kante für sich entdeckt, wird eine Band finden, bei der handwerkliches Können, innovativer Freigeist, Mut zur Beschreitung eigener Wege in der musikalischen Untermalung und Beschreibung der unglaublichen und wunderbaren Lyrik mit Perfektion betrieben wird.

Silke Sprenger

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