Rezension

Japanische Kampfhörspiele

Luxusvernichtung


Highlights: Guten Appetit // Pogoläden // Metallica // Werd Doch // Achtunddreissig
Genre: Grind-Pop
Sounds Like: Excrementory Grindfuckers // Napalm Death

VÖ: 15.05.2009

Die Literaturwissenschaft kennt verschiedene Anhaltspunkte, um die Frage „Was ist Lyrik?“ beantworten zu können. Eine beliebte kurze Definition ist „Einzelrede in Versen“, sprich: Gedanken und Gefühle eines einzelnen Individuums werden geschildert und rechts vom Geschriebenen bleibt eine Menge Rand frei. Historisch wird gerne auf Musik und Gesang verwiesen, die den Vortrag des Textes zu Zeiten der Minne begleitete, und wenn es sich dazu noch reimt, gefällt das dem Laien auch immer gut. Und bei Betrachtung all dieser Aspekte bleibt tatsächlich nur zu sagen: Geil, die Japanischen Kampfhörspiele sind tatsächlich Lyriker!

Okay, man darf vermuten, dass jeder Philologe dieser Welt sofort eine die JaKa ausschließende Sonderregelung in seinen Definitionen integriert hätte, hätte er diese gekannt, und ob bezüglich des Kriteriums „Musik und Gesang begleiten die Musik“ nicht auch gewisse Einschränkungen vorzunehmen wären. Obwohl, wer weiß schon, was Walther von der Vogelweide für Tunes rausgeballert hätte, wenn ihm statt seiner ollen Leier elektrische Gitarren zur Verfügung gestanden hätten? Sicher ist nur, dass er neben seiner dichterischen Kompetenz auch ein verdammt guter Musiker gewesen sein müsste, wenn ihm Songs wie den Kampfhörspielen gelungen wären. Klar, die dauern auf „Luxusvernichtung“ im Schnitt gerade einmal 21 Sekunden. Das ändert aber nichts daran, dass hier mit schöner Regelmäßigkeit Riffs rausgebratzt werden, für die Metallica anno 2009 ihre Oma verkaufen (beziehungsweise einfach nochmal Napster verklagen) würden. Das Ganze klingt dann mal nach Speed Metal („Vorort“), mal nach Death Metal („Pogoläden“), mal nach Thrash Metal („Liebe Islamisten“) und meistens einfach nur – positiv gesehen – kaputt. Man spricht ja oft davon, dass Bands ihre Songs nur um ein Riff herum aufbauen würden. Anders hier – nach besagtem Riff ist der Song meistens einfach um!

Und wo wir gerade bei Dingen sind, die Monsieur de la Vogelweide nicht so dufte konnte wie die Japanischen Kampfhörspiele: Pöbeln! Oder, anders gesagt: Kritik an Konsum, Gesellschaft, grassierender menschlicher Verblödung und vielem mehr (54 Songs sollen hier bestimmt nicht thematisch aufgedröselt werden) formulieren. Manchmal braucht man dafür nicht mehr als fünf Sekunden und fasst sich dementsprechend auch inhaltlich kurz (Beispiel „Momo“: Sie lesen ihren Kindern Momo vor und gucken dabei ständig auf die Uhr.), in anderen Fällen benötigen JaKa aber auch nur sieben Sekunden mehr, um zu einem Thema wirklich alles zu sagen, was gesagt werden muss: Ich finde gut, wenn man Metallicasongs aus dem Netz klaut und ungehört in den Papierkorb verschiebt // anstatt sich über eine Fehlinvestition zu ärgern // drückt man nach beendetem Download statt auf Play auf Delete („Metallica“). Schade nur, dass der Grindcore-Anfänger die Texte nur selten versteht, ohne das beiliegende Booklet zu konsultieren, aber das ist eben die Crux mit diesem Genre: Mal wird gegrunzt wie eine Kreuzung aus Chris Barnes und Wildschwein, mal gekreischt wie Dimmu Borgir bei der Kastration – okay, Anschlusstreffer für Walther von der Vogelweide.

Um das Ganze abschließend zusammenzufassen: Kaum eine halbe Minute lange Metalsongs, gepaart mit Death-/Black Metal Vocals und witzig-gelungenen Texten über Al-Quaida, Detlef D! Soost und den Rest der Welt ergeben „Vierundfünfzig vertonte Kurzgedichte“. Wer das braucht? Eigentlich keiner, aber noch eigentlicher auch jeder, der gut gemachte Musik mag und sich zum Lachen nicht im Garten einbuddelt. Dass die JaKa sich nicht Grindcore, sondern Grindpop nennen, ändert nichts daran, dass diese Musik trotzdem nie etwas für mehr als eine Handvoll Leute sein wird. Aber ganz egal: Dafür ist es Lyrik, wie bereits bewiesen wurde. Und der gemeine Bauer mochte Walther von der Vogelweide damals bestimmt auch nicht.

Jan Martens

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