Rezension
Girl Talk
All Day
Highlights: -
Genre: Bastard Pop // Hip Hop // Electro
Sounds Like: VH1's Greatest Songs Of All Time
VÖ: 15.11.2010
„Hits! Hits! Hits!“ fordert der Labelboss. „Bitte sehr: Tausende davon!“ würde Gregg Gillis ihm nun süffisant entgegen schmettern, hätte er denn einen solchen. Nein, so was Mondänes hat die Ein-Mann-Partywalze Girl Talk weder nötig, noch kann sie es sich überhaupt erlauben. „All Day“ ist ein einziger Raubzug durch die Musikgeschichte: Selbst Kanye Wests prall gefüllter Geldbeutel würde bei dieser Sampling-Orgie laut aufstöhnen. Nicht umsonst läuft der Mashup unter der Creative-Commons-Lizenz und kann umsonst über die treffend betitelte Internetseite „Illegal Art“ geladen werden. „All Day“ hält das, was RPR1 und RTL Radio versprechen: die größten Hits von gestern, heute und morgen. Raubkopieren 2.0 sozusagen.
Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Jegliche Genregrenzen und Geschmacksfragen ignorierend, wütet Gillis wie ein Berserker durch fünf Jahrzehnte Musikgeschichte. Hiphop, Rock, Techno und akustische Scheußlichkeiten werden zu einem abenteuerlichen Klangbrei geknetet, wobei harte Gangster-Raps den Hauptteil der lyrischen Untermalung beanspruchen. Das beschert natürlich etliche denkwürdige Konstellationen. 2Pac als Black-Sabbath-Frontman? Blitzkrieg Bop gegen Missy Elliott? Alles drin. Und alleine deshalb lohnt sich eigentlich schon die Aufopferung der Bandbreite.
Trotzdem enttäuscht das Album. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Girl Talk dieses Mal vermehrt Rockmusik sampeln, anstatt wie auf vorherigen Alben tanzbare Popmusik einzuflicken. So, als ob Gillis hier sein astronomisches Musikwissen beweisen müsste, verwebt er spröde Klassiker wie Fugazi und die Talking Heads. Eine nette Verbeugung vor anderen musikalischen Kettensprengern, doch auf einem Dancemix unterbrechen MacKaye und Konsorten nur unnötig den Flow. „All Day“ stolpert über seinen eigenen Anspruch und verkommt so allzu oft zu einem „Kennst du den?“-Ratespiel für Musiknerds.
Paradoxerweise scheitert das Album schlussendlich an der eigenen Länge. Eigentlich hat man überhaupt kein Recht, einen Künstler, der 70 Minuten Unterhaltung einfach so verschenkt, zu kritisieren. Trotzdem ist „All Day“ einfach zu lang und unstet, um über seine gesamte Dauer zu fesseln. In Zeiten der ADD-Pandemie sollte Gillis doch wissen, dass niemand ernsthaft seiner Empfehlung, das Album ununterbrochen durchzuhören, nachkommt. So sind totale Nerds wohl die einzigen, die wirklich auf „All Day“ steil gehen. Diese zum Tanzen zu bringen, ist allerdings auch eine Leistung.
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