Rezension

Fatoni

Andorra


Highlights: Alles Zieht Vorbei // Die Anderen // Krieg Ich Alles Nicht Hin
Genre: Rap
Sounds Like: Danger Dan // Juse Ju

VÖ: 07.06.2019

Wenn einer der smarteren Männer der deutschen Hip-Hop-Landschaft seinen Signature-Hut lüftet, lässt er tief blicken. Und das passiert nicht nur auf dem Cover, es steckt auch ganz schön viel Anton Schneider in dieser neuen Fatoni-Platte drin. Wieso auch Herr Schneider interessant ist, was die Lebensentwürfe anderer so oft spannender macht als die eigene Existenz und was zur Hölle das alles mit Dieter Bohlen zu tun hat, hören wir auf „Andorra“.

Dass Fatoni nicht nur flowtechnisch einiges zu bieten hat, sondern es auch schafft schlaue Messages in reizvollen Sprechgesang zu verpacken, ist mittlerweile weitestgehend bekannt. Noch im Jahr 2017 hat er gemeinsam mit Mine die schmerzlich ehrliche Kollaboration „Alles Liebe Nachträglich“ veröffentlicht. Es scheint nun nur folgerichtig, dass die Tuchfühlung 2019 ein neues Level erreicht: Weniger Fokus auf die Aushandlungen von romantischer Liebe und Spotlight an für authentische Offenbarungen und vermeintliche Unzulänglichkeiten.

Mit „Alles Zieht Vorbei“ wird das Album unmittelbar mit einem der zentralen und persönlichen Tracks eröffnet. Die Hörer/innen erhalten Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt von Fatoni – oder doch von Anton Schneider? So ganz trennscharf scheint das auf „Andorra“ nicht zu sein, klar ist aber: Es wird viel gezweifelt. Mit der fast dialektisch anmutenden Zeile von niemand geringerem als Diskurs-Pop-Größe Dirk von Lowtzow wird die Brücke zum nächsten Herzstück („Die Anderen“) der Platte geschlagen: „Du sollst nur auf dich selber hören, haben die anderen gesagt“. Und dabei spricht der Tocotronic-Frontmann in kurzer Zeit so viel Wahrheit aus, dass die Fans ihm sicherlich auch den kleinen Exkurs in Spoken-Word-Gefilde verzeihen. Fatoni bleibt indes in der Rolle des verunsicherten Suchenden – nach dem richtigen Weg und sich selbst.

In seinen 13 Tracks arbeitet sich Fatoni an den unterschiedlichsten Lebensentwürfen anderer ab. Sei es am sportlichen Jason Statham, dem irgendwie runtergerockten aber zumindest ehrlichen Sprüher Mitch oder auch dem Popmogul Dieter fucking Bohlen. Letzteren nutzt Fatoni als fast plakative Projektionsfläche des simplen und gleichsam guten Lebens (überraschendes Verbindungsstück beider ist zudem das gemeinsame Fan-Sein von Beatles-Frontmann Paul McCartney).

Mit dem lyrischen „ihr“ spricht Fatoni gleichzeitig – und als Gegenentwurf zur einfachen Figur des guten Lebens – all diejenigen an, die am Leben als vermeintlich konstruktive Mitglieder der Gesellschaft teilhaben. Er selbst scheint da nicht hinterher zu kommen und kann ganz schön viele Zweifel in ganz schön passende Worte gießen. Dabei bezieht sich Fatoni nichtsdestotrotz immer wieder auf die wichtigen aktuellen Debatten: Über die Persona Kevin Spacey thematisiert er sexualisierte Gewalt im Showgeschäft, mit Referenzen auf Frei.Wild benennt er rechte Mobiliserungen im Musikbusiness (und auch in der Rap-Szene selbst), und stellt klar fest, dass Nazis mittlerweile auch im Parlament sind.

Leider verbleibt Fatoni bei diesen Themen etwas zu oft auf einem bloßen Benennen der Überschriften, wo sich aufmerksame Hörer/innen zuweilen konkretere Positionierungen wünschen könnten. Er bedient sich immerhin des cleveren Kniffs diesen Umstand auf der Platte direkt selbst zu problematisieren: „Meine Rebellion besteht darin, dass ich bei den richtigen Themen immer dagegen bin“.

Hut ab vor dem Schritt, den Fatoni mit dieser Platte geht, und bitte mehr Songs mit Tiefgang – im persönlichen wie gesellschaftskritischen Sinne.

Nicole Dannheisig

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Video zu "Alles Zieht Vorbei"
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