Rezension

Zugezogen Maskulin
10 Jahre Abfuck
Highlights: Tanz auf dem Vulkan // Rap.de // Sommer vorbei // Jeder Schritt
Genre: Deutschrap
Sounds Like: OG Keemo // Ahzumjot // Lance Butters // K.I.Z.
VÖ: 07.08.2020

„Zehn Jahre später, ich bin so müde // vom Ringen zwischen Kommerz und Kunst“, fasst Grim104 die erste Dekade Zugezogen Maskulin zusammen. Der Erfolg ist da, aber er und Bandkollege Testo zweifeln und verzweifeln auf „10 Jahre Abfuck“ daran. Und nicht nur daran: Die Welt, das Land, die Mitmenschen haben in der Zwischenzeit auch nicht für weniger Ermattung gesorgt. Die beiden können und wollen sich gar nicht getrennt davon betrachten, mit spitzer Zunge und scharfem Auge ziehen sie ein Resümee der Zehnerjahre.
Strudelartig rauschen die Eckpunkte und Bilder beim Zuhören vorbei. Wie beim Scrollen durch immer apokalyptischere Tweets und Dauernachrichten vermengt sich Biografisches mit Weltgeschehen, Selbstkritik mit politischer Analyse. Der skandalumwitterte Auftritt der Band zur Dreißig-Jahr-Feier des Mauerfalls steht neben dem Selbstmord der NSU-Terroristen, das Praktikum bei rap.de neben dem Abrutschen deutscher Rapper in den Wahn der ISIS-Ideologie. Gerade der Rechtsruck in Deutschland flimmert unausweichlich durch die Texte, ob im dystopischen „Tanz auf dem Vulkan“ oder dem trügerisch poppigen „Sommer vorbei“.
Der Soundtrack zu den Zeilen zischt und brodelt, die Hi-Hats stechen in die Ohren. Immer wieder rattert der Bass, als käme er aus einem Verstärker, der auf einer wackligen Bierbank steht. Die Melodien bleiben dumpf, leiernd – Clubmusik hinter Brandschutztüren. Aus den zerstückelten Trends des Jahrzehnts mischt Produzent Ahzumjot ein Gebräu, das ganz zum Trap-Zeitgeist passt und doch unangenehm bleibt, sich oft zusammen mit Grims schriller Stimme hochschaukelt, bevor es wieder bricht: Eine musikalische Untermalung so anstrengend wie hörenswert.
Überzeugend spannen Zugezogen Maskulin auf „10 Jahre Abfuck“ einen weiten Bogen, erzählen aus der Sicht des Täters schonungslos von toxischer Männlichkeit und sexuellen Übergriffen, verhandeln Antisemitismus im Deutschrap und der Gesellschaft und berichten von der Selbstzerstörung zwischen Alkohol und Panikattacken. Zusammengehalten wird all das durch das immer durchklingende, ehrliche Hadern mit sich selbst und den Fragen der Zeit und dem Bewusstsein für die Widersprüchlichkeiten in den eigenen Positionen. Sie haben keinen Lösungsansatz für die Abwärtsspirale, sie können sie nur nachzeichnen und dabei vom Ausstieg, vom „Exit“ träumen. „Jetzt kommen die Zwanziger // Der Abfuck ist längst nicht zu Ende.“
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