Interview
The Unwinding Hours
Craig meinte, dass das deutsche Publikum auf der letzten Aereogramme-Tour mit das beste war, das er je erlebt habe. Geht es euch mit eurer neuen Band genauso?
Iain Cook: Ja, das tut es. Die deutsche Presse ist die einzige, die ein durchweg positives Echo gegeben hat. Auf den Konzerten ist es ähnlich: Irgendwie kommen in Deutschland und Schottland nicht nur ähnlich viele, sondern auch genau dieselben Typen auf die Konzerte. Also meist so Mittdreißiger. Okay, zu The Unwinding Hours bringen sie jetzt noch ihre Freundinnen mit (lacht). Es muss sich also irgendetwas an der Musik verändert haben.Sind wir neuerdings weniger Macho? Ich weiß es nicht (lacht weiter).
Hast du dafür eine Erklärung, warum es ausgerechnet in Deutschland so viel positives Echo gibt?
Iain: Auch hier: keine Ahnung. Aber nur in Schottland und in Deutschland können wir richtig touren, weil hier die Leute kommen. Das war ja schon mit Aereogramme so. Irgendwas muss sich wohl in die Seele der Deutschen einklinken. Aber was das genau ist? Da muss ich passen.
Du selbst hast gerade schon von Aereogramme gesprochen. Ärgert es euch, ständig an früheren Taten gemessen zu werden?
Iain: Ach, eigentlich nicht. Ich meine, sind wir mal realistisch: Wir hätten nie erwartet, dass die Leute unsere Vergangenheit außen vor lassen. Ich meine, die halbe Band ist ja so gesehen noch dabei. Und Craig's Stimme baut nun mal die Brücke zu Aereogramme. Es macht also schon Sinn, dass viele sagen: „Okay, das klingt jetzt wie Aereogramme...“ und dann irgendwelche Einschränkungen bringen. Natürlich wäre es ideal, wenn man The Unwinding Hours als ganz neuen Ansatz verstehen würde. Naja, wer weiß: Vielleicht ist das in zehn Jahren schon so (lacht).
Wie ist die neue Dynamik zwischen dir und Craig? Wie hat sich das Songwriting verändert?
Iain: Es ist entspannter. Im Groben arbeiten wir immer noch so wie früher. Craig kommt mit einem Akustik-Demo in mein Studio und dort werkeln wir an den Arrangements. Neuerdings bringt er auch mal Sachen auf dem Computer mit. Was sich entscheidend verändert hat, ist die Geschwindigkeit dieses ganzen Prozesses. Wir arbeiten ein- oder zweimal die Woche vielleicht vier bis fünf Stunden an Songs. Bei Aereogramme war das viel mehr. Durch diesen neuen Rhythmus bleibt mehr Zeit zum Reflektieren. Der Druck ist einfach weg, man kann länger feilen.
Sahst du das bei Aereogramme als Problem?
Iain: (ohne zu Zögern) Nein. Es war eher ein Faktor, der beeinflusst hat, wie die Songs letztlich klangen. Per se ist das kein Problem. Ich mein, die Leute mochten es ja anscheinend (lacht).
Würdest du denn sagen, dass es so auch einfacher ist, Songs zu schreiben?
Iain: Ja, aber das ist es in erster Linie, weil wir nur noch zu zweit sind. Es gibt weniger Zoff als bei Aereogramme. Damals fühlte es sich immer so an, als würde die Musik in alle vier Himmelsrichtungen gezogen. Und diese Spannung, die sich hieraus ergab, brachte sicher neue Sounds hervor, auf die wir als Einzelpersonen nicht gekommen wären. Jetzt sind zwar auch noch Spannungen da, aber es geht doch alles sehr viel schneller und ist näher an dem, was wir machen wollen.
Ich für meinen Teil kann das bestätigen. Viele sagen, dass euer Album an das letzten Aereogramme-Album anschließt. Ich finde, es ist viel homogener, friedvoller und klingt freier.
Iain: Es ist schön, dass du das so siehst. Denn darüber haben Craig und ich bei Aereogramme oft gesprochen. Vieles war uns da zu schizophren. Ich mein, hör' dir mal „Older“ auf „Sleep & Release“ an: Erst ist es Metal, dann wird es elektronisch und dann...was zum Henker soll das? Also, das war super und diese Provokation hat auch wirklich Spaß gemacht. Aber zu genießen war das kaum, weil es so dynamisch war. Jetzt ist es eher so, dass wir uns auf ein einziges Gefühl, auf eine bestimmte Atmosphäre konzentrieren und diese den ganzen Song beibehalten.
Verstehst du denn dann, dass die Leute The Unwinding Hours trotzdem als Fortführung von Aereogramme sehen?
Iain: Ich kann das schon verstehen, obwohl sich für uns ja so viel geändert hat. Wir bestimmen jetzt das Tempo, in dem wir arbeiten. Und erst wenn wir Lust haben, veröffentlichen wir etwas. Egal, ob das nun in einem, in zwei oder in fünf Jahren passiert. Es gibt kein Gefühl, dass dies unser Vollzeit...(zögert)..., dass dies das ist, was wir ausschließlich tun. Wir beide haben unsere Privatleben und unsere Jobs. „My Heart Has A Wish That You Would Not Go“ fühlte sich für uns wie das Ende von etwas an, wie eine Tür, die sich schließt. Unser Album als The Unwinding Hours hingegen stößt für uns eine neue Tür auf.
Ergeben sich daraus auch andere, neue Möglichkeiten?
Iain: Möglich. Mit Aereogramme haben wir ja niemals auch nur einen Cent verdient. Mit unserer neuen Band spielt Finanzielles keine Rolle mehr. Dafür sind wir beschränkt, was unser Tourpensum angeht. Denn es ist inzwischen nicht mehr drin, zu sagen, dass wir jetzt mal eben sechs Wochen auf Tour gehen. Craig geht bald fürs Psychologie-Studium an die Uni, arbeitet derzeit als Koch und ich habe auch meinen Job: Ich schreibe die Film- und Fernsehmusik für den BBC. So verdienen wir unser Geld und sind in diesen Jobs fest eingespannt.
Kommen wir mal zu eurem Album: Ich habe gelesen, dass sich “The Unwinding Hours” noch stärker um Beziehungen dreht als die letzte Platte von Aereogramme. Und das ist gerade interessant, weil Craig einmal sagte, um Aereogramme auch nur ansatzweise zu verstehen, muss man ganz schön um die Ecke denken. Kannst du etwas zu den Lyrics sagen?
Iain: Ja, ich denke, seine Texte sind schon etwas deutlicher geworden. Etwas direkter, weniger abstrakt. Also er selbst mag es ja überhaupt nicht, seine Texte zu erklären. Aber so viel sei gesagt: Es geht auf „The Unwinding Hours“ um das fiese Ende einer Beziehung und den Beginn einer neuen Liebe. Du weißt schon, alles sehr emotional (lacht).
Durch die Texte wirkt das Album auch heller und friedlicher als zuvor. Siehst du das ähnlich?
Iain: Ja, absolut. Craig ist jetzt viel glücklicher als...
(Craig läuft vorbei, Ian sieht ihn....)
Iain: (hörbar für Craig) Craig ist ein totales Arsch. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mit ihm in einer Band bin.
(Craig verschwindet, gibt vorher aber noch das internationale Symbol für Blowjobs zum Besten. Alle lachen.)
Iain: Nee, also im Ernst: Craig ist jetzt an einem viel glücklicheren Punkt in seinem Leben. Das sieht man an seinen Lyrics, auf jeden Fall.
Dann gehen wir einmal auf die Songs selbst ein. Mir ist aufgefallen, dass „Peaceful Liquid Shell“, das ihr gerade beim Soundcheck gespielt habt, gewisse Ähnlichkeiten zu „Child“ aufweist. Gibt's da textlich eine Verbindung?
Iain: Aha, interessant. Also die Ähnlichkeit könnte daher kommen, dass die beiden Songs, genau wie „Knut“, nicht als Akustikdemos, sondern an Craigs Computer ihren Ursprung nahmen. Könnte sein, dass du recht hast. Ich hab' das noch nie gemerkt. Aber wo du es sagst: Die Takte sind ähnlich, das Tempo auch, ein bisschen lärmend wird’s ebenfalls. Rein thematisch sind sie aber ziemlich verschieden, so viel kann ich dir sagen.
Wo wir gerade bei „Knut“ sind, kommen wir mal zu der Frage, die euch wahrscheinlich jeder Journalist stellt. Wer ist Knut?
Iain: Knut ist ein wohlgehütetes Geheimnis (grinst).
Stimmt es denn, dass die Lyrics zu „Knut“ erst ganz kurz vor der Aufnahme auf Band gelandet sind?
Iain: Ja, das stimmt. Zu der Zeit war gerade Campbell (Aereogramme-Bassist, Anm. d. Verf.) im Studio. Er liebte den Song, das Arrangement, einfach alles. Aber er meinte zu mir, dass da noch Gesang drüber müsste. Irgendwann hatte er mich so weit, dass ich mit Craig darüber gesprochen habe. Er hat dann ganz intuitiv drauflos gesungen. Das, was man jetzt hört, ist immer noch das erste, was ihm eingefallen ist, denn wir fanden, dass es perfekt passt.
Hat Campbell denn noch mehr zum Album beigesteuert?
Iain: Er hat den Bass bei „Tightrope“ eingespielt. Ab und an war er im Studio. Er ist schließlich mein bester Freund, weißt du? Ich spreche oft mit ihm über unsere Band. Was Craig nicht weiß, macht ihn nicht heiß (lacht).
Na sowas. Kommen wir schon zu den letztenn Fragen. „The Final Hour“ habt ihr auf der letzten Aereogramme-Tour geschrieben. Wie kamt ihr denn darauf, den Song auf euer Album zu packen, wo er doch von eurer alten Band ist?
Iain: Äh, also...im Grunde genommen kamen die Songs bei Aereogramme, genau wie bei The Unwinding Hours, alle aus Craigs Feder. Zu “The Final Hour”: Craig wollte überhaupt nicht, dass der Song auf der Platte landet, weil er glaubte, dass der Text nicht zum Rest des Albums passt. Ich hingegen hatte mich aber total in den Chorus verliebt, den er da am Ende singt. Er musste einfach mit drauf. Und er macht live auch wirklich Spaß.
Also spielt ihr den Song auf jeden Fall?
Iain: Wir spielen die ganze Platte. Vielleicht sogar einen alten Aereogramme-Song, wer weiß?
Beliefert ihr damit nicht nur die Leute, die Aereogramme hören wollen?
Iain: Nun ja, da hast du recht. Wenn wir das jetzt dauernd machen würden, wäre das Betrug, weil The Unwinding Hours ja eben für uns auch etwas Neues sind. Aber wir halten das auf einem Minimum. Denn der Song, den wir spielen, ist eigentlich uralt und nicht sonderlich bekannt. Außerdem wollten unser Drummer Marc und Campbell ihn nie spielen, Craig und ich aber schon.
Als besagten Aereogramme-Song und allerletzte Zugabe spielen The Unwinding Hours dann nicht etwa „Black Path“, „A Meaningful Existence“ oder „Hatred“. Sondern „The Art Of Belief“. Klingelt’s? Nein? Soll es auch nicht. Denn weder auf Aereogrammes Studioplatten noch auf den zwei geläufigeren EPs ist das Stück zu finden. Zugeständnisse an Erwartungshaltungen sehen anders aus. Und ja: Diese Ruhe, die Craig B. und Ian Cook gefunden zu haben scheinen, ist für die Inspiration der Band die frischeste Quelle, die sie freilegen konnten. Hoffentlich dauert es nicht die von Ian gescherzten zehn Jahre bis Fans von damals das auch verstanden haben.
Photo by John Speirs
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