Interview

The Gaslight Anthem


Die Sonne lacht am Himmelszelt, draußen läuten Katzenjammer den dritten Tag des Hurricane Festivals ein – Drummer Ben Horowitz von The Gaslight Anthem freut sich auf die Konzerte von Vampire Weekend und Turbostaat und insbesondere darauf, die neuen Songs von "American Slang" dem gespannten Publikum vorstellen zu dürfen. Zuvor redet er jedoch mit uns über Kulturclashphänomene, innere Alterserscheinungen... und Fischreste.

Heute ist beinahe das erste Mal, dass ihr eure neuen Lieder live spielt, oder?

Ben Horowitz: Ja, wir hatten vor ca. drei Tagen aber schon eine Releaseshow in New York. Dort war dann die eigentliche Premiere.

Ich habe vor einer Weile aber schon eine Radioshow gehört, in der Brian (Fallon, Sänger und Gitarrist der Band, Anm. des Autors) einige Songs alleine auf der Akustikgitarre gespielt hat. Es ist lustig, so reduziert klingen die Songs immer sehr viel trauriger und deprimierter.

Ben: Ja, besonders bei den neuen Songs, auch wegen der Texte. Die sind vielleicht nicht deprimierend, aber... real. Keine Poptexte. Sie sind schon nachdenklicher.

Und trotzdem wirkt „American Slang“ etwas unbeschwerter auf mich. Selbstsicherer und auch etwas polierter, was die Musik angeht.

Ben: Auf jeden Fall selbstsicherer, ja. Ich glaube, manche der Lieder hätten wir vor ein paar Jahren noch nicht schreiben können. Wenn man Songs schreiben will, die etwas anders sind, und sich dann dabei zurückhält, klappt das nicht – ganz oder gar nicht. Was „poliert“ angeht: Wir haben es eigentlich genauso aufgenommen wie „The '59 Sound“ auch, haben nur den Hall etwas mehr von Brians Gesang genommen und die Gitarren etwas mehr verzerrt.

Als damals „American Slang“ als erster neuer Song auf MySpace gestellt wurde, fragte ich mich, wie „American Slang“ genau klingt – also der Slang, nicht das Album.

Ben: Es ist die bestimmte Sprache eines Ortes – des Untergrunds. Für mich ist es mehr oder weniger die Sprache des einfachen Mannes. Wenn man sich die Nachrichten anschaut, gibt es ja nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen, über die gesprochen wird, aber Amerika ist ja riesig. Überall passiert etwas, man muss nur seine Augen öffnen und sieht überall Leute mit Problemen und hört ihre Sprache. Das alles in Kombination ist der „American Slang“.

Steckt da auch etwas exklusiv Amerikanisches drin, das ich als Nicht-Amerikaner vielleicht gar nicht verstehen könnte?

Ben: Das ist ja eigentlich ganz lustig – abgesehen von den amerikanischen Ureinwohnern ist Amerika ja eigentlich nur ein Zusammenschluss anderer Kulturen. Weniges ist wirklich ursprünglich amerikanisch. Barbecue vielleicht, Jazz und Blues. Das gibt’s natürlich alles mittlerweile überall, aber diese Dinge haben wir auch wirklich selber erfunden. Ansonsten sind wir eigentlich ein Riesen...Gulasch verschiedener Einflüsse, die erst nach Generationen amerikanisch geworden sind. Meine Großeltern waren auch noch Einwanderer, aus Russland und Polen, und besonders in unserer Gegend in New Jersey ist das bei vielen so.

Das Albumcover von „American Slang“ sieht für mich auch relativ „amerikanisch“ aus. Es besteht ja aus Fotos, die ihr selber geschossen habt, die ich auch ohne Vorwissen alle der USA zuordnen würde.

Ben: Das wollten wir eigentlich auch darstellen. Die vier Bilder, die ich gemacht habe, wurden alle auf der Bahnfahrt von meiner Wohnung zu unserem Studio geschossen. Ich wollte so unverfälscht wie möglich zeigen, woher ich komme. Viele Brücken, viele Autos....

Fühlst du dich mit diesen Orten emotional verbunden?

Ben: Ja, klar. Ich meine, ich bin 29 Jahre alt und habe nie wirklich New Jersey verlassen. Die Stadt ist ein riesiger Teil davon, wie ich mich fühle und was ich bin. Deine Herkunft ist ein wichtiges Charakteristikum deiner Persönlichkeit – zumindest meistens.

Naja, du bist aber ja mittlerweile schon ziemlich herumgekommen.

Ben: Ja, das ist das Tolle daran, Musik zu machen. Ohne die Band hätte ich nicht einmal ansatzweise soviel reisen können, wie ich es nun tue. Oft sieht man zwar nur die Clubs und bekommt die Stadt selber gar nicht mit, aber auch dann trifft man Menschen und isst das einheimische Essen und kann mit der Kultur interagieren.

Magst du an der deutschen Kultur irgendetwas besonders gerne? Deutsches Essen?

Ben: Naja, ich bin Vegetarier, daher kann ich mich mit Bratwurst und so nicht anfreunden. Ich esse hier meistens Essen aus anderen Kulturen. Ich hol mir im Dönerladen dann ein Falafel oder eine Pizza. Es gibt auch ein tolles Tofugericht, das dort gemacht wird, mit irgendeiner weißen Soße, auch wenn ich keine Ahnung hab, was da genau drin ist. Das ist super. Auf unserer ersten Tour haben wir oft in sehr kleinen Clubs gespielt, und um alle, 50 Leute oder so, satt zu bekommen, wurden da oft riesige Töpfe mit veganem Eintopf gemacht. Das haben sie immer super geschafft (lacht).

In manchen Clubs soll es aber sehr schwer für Vegetarier sein. Ein veganes Mitglied von Dillenger Escape Plan hat einmal erzählt, dass sein veganes Gericht aus einer Paprika und einem Plastikmesser bestand. Nach Island solltest du als Vegetarier wahrscheinlich auch nicht reisen.

Ben: Viel Fisch, oder? Das war in Japan wirklich schwierig. Überall Fisch. Selbst Gerichte, die nichts mit Fisch zu tun hatten, beinhalteten irgendwelchen Fischsaft oder Fischflocken!

Bis vor einer Weile waren sogar in Fanta noch Fischreste.

Ben: In FANTA? Oh nein. Ich hab' immer sehr viel Fanta getrunken. Fisch steckt echt in einer Menge Sachen, von denen man es nie erwarten würde. Caesar-Dressing, Miso-Suppe...

Und Gelatine in Gummibärchen...Irgendwie sind wir gerade ziemlich abgeschweift, oder?

Ben: Stimmt, wo waren wir?

Wir haben über die Fotos auf dem Albumcover gesprochen, da wollte ich eigentlich fragen, ob ihr nostalgische Menschen seid. Die Lyrics des neuen Albums sind ja auch sehr vergangenheitsbezogen – ihr seid ja auch noch nicht so alt, dass Brian wie in „Orphans“ über aging bones singen müsste.

Ben: Brian schreibt eben sehr autobiographisch, meistens über das, was er mit eigenen Augen gesehen hat. Das ist ganz ähnlich wie mit den Bildern. Wegen den aging bones: Irgendwie fühlen wir uns aber alt. Brian und ich denken manchmal, dass wir die ältesten 29- bzw. 30jährigen der Welt sind. Wir hatten eben schon ein sehr langes und interessantes Leben, viel gesehen und viel getan. Aber du hast schon recht, manchmal tun wir so als wären wir 60 (lacht). Das kommt auch durch das Touren, auch wenn das manchmal genau die entgegengesetzte Wirkung haben kann. Dann denkt man, man hätte keine Verantwortung mehr und baut nur noch Scheiße, nimmt Drogen und so. Da gibt es wohl zwei Wege.

Das Rockstar-Klischee.

Ben: Ja, genau. Lauf nur lange genug über das Festivalgelände und du wirst genau das erleben. Ich versteh's einfach nicht. Klar, wenn man als Band einen bestimmten Punkt erreicht, muss man auch eigentlich gar nichts mehr tun, wenn man nicht will. Man könnte den ganzen Tag im Bett liegen und schlafen, irgendwann aufgeweckt werden, auf die Bühne gehen, spielen und sich danach betrinken. Aber ich verstehe einfach nicht, an welchem Punkt ein normaler Mensch seine persönliche Verantwortung aufgibt, nur weil er etwas Erfolg hatte. Das ergibt für mich keinen Sinn.

Julian Casablancas, Sänger der Strokes, die heute Headliner sind, hat bei deren letztem Auftritt auch einfach einmal eine Fernsehkamera im Wert von 100.000 Euro zerballert.

Ben: Oh Mann. Musste er dafür bezahlen? Leisten könnten sie es sich ja. Sowas ist doch Scheiße, Mann. Das versteh ich nicht. Naja, vielleicht liegt es bei einigen Bands daran, dass sie ihren Erfolg schon mit 16 oder 17 haben und niemals ein „normaler“ Erwachsener waren. Wir zum Beispiel haben ein gewöhnliches, anstrengendes Leben gelebt, bis wir ungefähr Mitte 20 waren. Ich habe Brian erst mit 25 getroffen. Davor waren wir noch recht stark in unserem Leben verwurzelt, vielleicht konnten wir deswegen besser damit umgehen.

Das Wort, das in der deutschen Presse wohl am häufigsten benutzt wird, um euch zu beschreiben, ist übrigens auch „ehrlich“.

Ben: Das finde ich sehr positiv. Wie gesagt, ich verstehe nicht, wenn Musiker sich auf einmal besser vorkommen als andere. Ich mache einfach gerne Musik, in der andere eventuell etwas finden. Ich liebe was ich tue und bin sehr dankbar dafür. Hoffentlich können wir das noch lange tun, wir hatten sehr viel Glück – ich kenne bestimmt 100 Kids in New Jersey, die das auch gerne tun könnten. Solche Chancen sollte man sich nicht verscherzen.

Das stimmt wohl. Aber ihr macht doch sicher auch irgendwas, das dem Rock-Klischee irgendwie entspricht? Sei mal ehrlich.

Ben: Wir? Ich weiß nicht. Uns betrinken? Das machen ein paar. Oder manchmal kiffen.

Na gut, wer macht das nicht?

Ben: Auch wieder wahr (lacht). Dann wohl unser Bus. Es ist schon toll, in einem Bus statt einem Van zu fahren, auch wenn es zuerst merkwürdig war. Nach unserem Konzert war ich gestern zum Beispiel krank und bin gleich um acht Uhr ins Bett gegangen. Das wäre bei 12 Stunden Fahrt zum Hurricane eine sehr schlechte Nacht für mich gewesen, jetzt konnte ich aber gut schlafen und bin nun wieder fit.

Okay, dann fangt bloß auch in Zukunft nicht damit an, Hotelzimmer zu zerkloppen! Danke für das Interview!

Photo: Pressefreigabe Verstärker Medienmarketing

Jan Martens

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