Interview
Romano
Als wir Roman Geike am Nachmittag vor seinem Konzert im Bielefelder Forum treffen, sitzt er ganz entspannt, mit langen, offenen Haaren, grinsend im Backstagebereich auf dem Sofa. Die Haare werden wir ihm nachher noch für die Fotosession flechten. Zur Begrüßung springt er auf und schenkt uns erst einmal eine Umarmung. Distanz und Zurückhaltung sind nicht so sein Ding – das Eis ist sofort gebrochen. Roman redet schnell, viel und begeistert und ist kaum zu bremsen. Es macht Spaß, ihm zuzusehen, ihm zuzuhören und sich von seiner Euphorie anstecken zu lassen.
Es kursieren Gerüchte, dass "Romano" nur eine vom Label geskriptete Figur sei. Roman weist das ganz klar ab: "Eh, da muss man doch mal realistisch bleiben! Wer soll sich so was ausdenken? Mit Virgin hatte ich totales Glück, weil wir uns schon von früher kannten, Freunde waren. Denen war auch klar, dass ich speziellen Sound mache. In der Vorstellungskraft der Leute, die denken, ich sei geskriptet, ist es nicht möglich, dass es jemanden wie mich in Wirklichkeit gibt, darum kann es ja nur geskriptet sein, denken die. Das Ding ist, ich bin für euch da! Du kannst mich alles fragen! Und im Endeffekt kommt so oder so raus, wenn ich eine Kunstfigur bin. Alles, was nicht echt ist, kommt raus, Milli Vanilli kommt raus, alles kommt raus! Deswegen mach ich mich locker! Was soll bei mir raus kommen? Ich bin Schlagersänger, verdammt nochmal, und finde aber alles Mögliche geil. Und das Schöne ist, plötzlich ist das Leben so entspannt, weil ich so sein kann, wie ich bin! Ich würde mich freuen, wenn immer mehr Leute sich so geben, wie sie sein wollen, freier sind! Ich freu mich auch so, dass bei meinen Konzerten die Menschen einfach Spaß haben, ganz verschiedene Menschen zusammen kommen! Der Familienvater mit dem Kind auf dem Arm neben dem Metaller, neben dem Technomädchen, neben dem Hip-Hopper! Eine Zusammenführung für 2-3 Stunden, bei der connected wird."
Romanos Konzerte sind tatsächlich einzigartige Partys, bei denen sich die unterschiedlichsten Menschen gegenseitig eine Zigarette anzünden und sich zuzwinkern, während Romano "Einfach Nur Rauchen" vorsingt. Als Romano nach dem Konzert zum Merch kommt, kreischen die Fans und drängen sich vor – nach gut einer Stunde Autogramm- und Fotosession mit ihrem Star zum Anfassen stellt Romano sich auf den Tresen und gibt Anweisungen. Wer einen Klaps auf den Po von ihm haben möchte, der stellt sich bitte im Konzertsaal in einer Schlange auf. Musik wird angemacht, die Reihe Menschen streckt ihre Hintern raus und freut sich wie Bolle, als Romano vorbei läuft und jedem einzelnen einen Klaps auf den Po schenkt. So macht man die Leute glücklich.
Photo Credit: Elisabeth Moch
Roman lebt seine Rolle in vollen Zügen aus, in "Romano" steckt er selbst und all die anderen Aliase, die er sich im Laufe seines Lebens ausgedacht hat, ebenso. Wie viele Charaktere hat er denn eigentlich bisher entwickelt und laufen die alle parallel ab, oder wird auch mal jemand abgeschafft? "Keiner von uns ist allein. Wir haben verschiedene Personen in uns. Mal ist man sehr liebevoll, mal hat man das Gefühl, man muss nur schreien und ist sauer. G#rade im kreativen Bereich ist es dann schön, wenn man den Dingen einen Namen geben kann. Ich konnte mich schon früh durch die Kunst ausdrücken, damit auch Ballast ablegen, wenn ich Gedichte geschrieben habe. Ich habe mich in der Schule schon für Romantik interessiert, Eichendorfs "Marmorbild". Diese Todessehnsucht. Dadurch bin ich auch wohl zum Metal und Gothic gekommen, weil ich mich immer für die morbiden Dinge interessiert habe. Sonnenunter- und -aufgänge sind total schön, kann man händchenhaltend rumlaufen, oder einem Kumpel den Arm um die Schulter legen – total schön, aber für mich bekommt es eine Tiefe, wenn eine Bedrohung rein kommt! Wenn man es nicht orten kann, ob es nur noch schön ist, oder im nächsten Moment etwas passieren kann. Das ist für mich permanent ein Motivator und großer Reiz! Ich habe bestimmt neun oder zehn Charaktere. Es gibt in Musikstilen immer Überschneidungen, das war auch bei meinen Persönlichkeiten so. MC Ramon deckt den englischsprachigen Rap ab, der Cornerboy ist die Erweiterung von ihm. Jedes Projekt von mir ist wie ein Schiff auf See, je nach Größe ist es vielleicht ein kleines Boot, ein großes Segelschiff, ein Traumschiff hatte ich auch mal. "Romano", das ist sozusagen der Hafen, in dem die Schiffe sich alle sammeln. Vielleicht wird da auch ein neues Schiff gebaut, vielleicht sticht eins der alten nochmal in See, ich weiß es nicht. Aber gerade ist da eine Mordsparty!"
Ist das schon fast schizophren? "Das würde ich so nicht sagen. Die Charaktere stehen alle für verschiedene Rollen. Romano war Schlagersänger, ist jetzt anders unterwegs, der Schlagersänger krabbelt aber immer wieder raus, kann sein, dass der heute noch auf die Bühne kommt! Vielleicht kommt er jeden Moment wieder raus – die Haare sind ja schon offen! (lacht) Der Romano ist von mir die liebevolle, emotionale Seite. Viele Leute, auch in Köpenick, haben zuerst mal gedacht, 'Alter, hat der total das Ding an der Waffel? Macht der jetzt Schlager?! Haha, der will Geld verdienen!' Aber das ist aus einer Freundschaft entstanden! Es gab Tage, da hatte ich einen Schlagerauftritt und habe am Abend dann Drum'n'Bass gespielt – da musste gucken, dass du die Schleifen nicht durcheinander bringst, 'Das sind die Worte der Liebe!' (singt) nicht in Drum'n'Bass rein bringst! (lacht). Wichtig ist, dass du darüber die Kontrolle bewahrst. Vielleicht habe ich eine leicht schizophrene Ader, aber das ist, um für mich Klarheit zu entwickeln."
Auch eine Rolle, die gut zu Roman passt, ist der "schöne General", in Anlehnung an den Hauptmann von Köpenick. Der hatte um 1900 die wildesten Ganovenstreiche gespielt. Was war denn ein schöner Streich, den Roman mal gespielt hat? "Ich habe mich mal als anderer MC ausgegeben, obwohl ich gar nicht gebucht war. Irgendwer meinte zu mir: 'Hey, bist du nicht der und der?!' Er hat es schon förmlich angeboten! Dann sagte ich: 'Genau der bin ich!' Und dann habe ich eine Stunde lang ein Set gespielt und jede Sekunde darauf gewartet, dass mich der Clubbesitzer von der Bühne zerrt. Es geht immer um die Ausstrahlung, wenn man selbstbewusst ist, dann klappen solche Geschichten!"
Als Romano kurz nach der Wende zum ersten Mal in einen Underground-Club in Berlin gegangen ist, die Hitze und die Bässe auf ihn einschlugen, der Darkroom bedrohlich wirkte, die Menschen Gasmasken trugen, die absurdeste Musik lief – da hat er die Welt nicht mehr verstanden. Da stand er nun, in seiner Thermojacke. Aber es war reizvoll für ihn, alles neu, bedrohlich, spannend! Das vermisst er an der heutigen Clubszene. Überraschungen gibt es kaum, man weiß schon, was einen erwartet. "Alles im Leben, was man zum ersten Mal macht, ist anders, als jedes weitere Mal, wenn man es tut! Egal, wie gut es wieder wird!" Was war denn das Letzte, das ihn total geflasht hat? "Das ist nun auch schon ein paar Jahre her, aber es war die Grime-Bewegung in England. Vorher gab es schon 2 Step, Craig David, das war so die Edelvariante mit dem Sektkorken – dann kamen Garageelemente, afrikanische Rhythmen und der Hip Hop zusammen, und es kam mit einer so unglaublichen Gewalt, die ich zu dem Zeitpunkt im amerikanischen Hip Hop vermisst habe. Grime – das war Mülltonne, Goldkette, das war dreckig – und die freuten sich dabei wie kleine Kinder!" Wie kommt denn Roman eigentlich auf den wilden Mix in seiner eigenen Musik? "Ich mach immer das, worauf ich Bock hab! Metallkutte, da hab ich einfach gedacht, geil, ich mach das! Und bämm! war das ein Ding! Bei Köpenick da war das so, das ist einfach meine große Liebe und ich wusste, ich brauche so einen Song auf dem Album. Ich hab mich selber erschrocken, wie viel mein Album von mir preisgibt! Man kann so viel hören, von Leidenschaften, Träumen, Ideen, Wünschen! Natürlich noch lange nicht alles, aber ich mach den Kühlschrank auf! Das Album dreht sich um Liebe, Menschenliebe!"
1997, kurz vor seinem Abitur, hat Roman zusammen mit Siriusmo (Moritz Friedrich) auf dessen Dachboden Songs aufgenommen, damals Rap in englischer Sprache. Moritz ist später in die Stadt gezogen, aber immer in Kontakt mit Roman geblieben. Seit 20 Jahren machen sie immer mal wieder zusammen Musik und haben auch gemeinsam die Figur "Romano" entwickelt. Auch mit seinem Trommler arbeitet er schon lange zusammen. Basti ist von seiner alten Band Maladment. Außerdem ist Anton Feist mit auf Tour, der schon bei Bodi Bill hinter den Reglern stand. Er und Roman kennen sich aus der Berliner Musikszene, und sind sich auch seit Jahren immer wieder über den Weg gelaufen.
Photo Credit: Elisabeth Moch
Roman war in den letzten Jahrzehnten in vielen Musiksparten unterwegs, hat viele Umbrüche miterlebt. Im Osten feierte man besonders hart und irgendwie anders. Darum war er dort intensiv auf Tour. Vor einem Auftritt in Wroclaw hatten ihm ein paar Gäste einen selbstgemixten Drink, den sie hinter einem Sofa hervorzogen, angedreht. Mad Dog hieß das Teufelszeug. Roman nahm das süßlich-scharfe Zeug zu sich, und Wumms! war er für einige Minuten wie ausgeschaltet – und das kurz vor Mitternacht, am Silvesterabend, an dem er Drum'n' Bass auflegen sollte. Mit der Musik kam dann irgendwie auch sein Bewusstsein wieder und es ging rund. Normalerweise präferiert Romano aber Sekt, vor allem in Kombination mit Kaffee, das macht ihn an und lässt ihn zu Höchstleistungen hochfahren.
Von wegen Abstürze. Die letzte Frage im Interviewbuch, in das ein Künstler eine Frage für den nächsten schreibt, stammt von Kid Simius. Der hatte in den Raum gestellt, dass bei einem Flugzeugabsturz unter Umständen alle Menschen sterben, aber die Blackbox heile bleibt. Könnte man ein Flugzeug aus dem Material der Blackbox bauen, um Menschenleben zu retten? Roman macht sich lange Gedanken über diese Frage, freut sich über Kid Simius' positive Gedanken und kommt doch zu seinem Bedauern zu keiner richtigen Antwort. Schließlich zeichnet er eine Skizze mit einer schwebenden Blackbox, mit der Menschen reisen können, und schreibt: "Sorry, das klappt zur Zeit noch nicht. Ich denk mir was aus!"
Über seine eigene Frage denkt Roman auch lange nach. "Ich möchte irgendeine peinliche Situation hervor kommen lassen!" Vom frivolen Ball, über einen Besuch im Sexshop, kommt er zur okkulten Messe: "Du bist zu einem Treffen verabredet und gerätst in eine okkulte Messe. Wie kommst Du da raus?" Wie würde er denn selbst da wieder raus kommen? "Ich würde mich ruhig verhalten, mitmachen, und gucken, was bei mir passiert. Erstmal ausprobieren und gucken, ob es mir liegt, erst später entscheiden, ob das Quatsch ist. Hauptsache: keine Menschen verletzen!" Toleranz und Nächstenliebe eben – ganz wichtige Themen für Roman.
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