Festival-Nachbericht

Reeperbahn Festival 2016


Spricht man mit Bekannten über das Reeperbahn Festival, bekommt man immer wieder den gleichen Kritikpunkt zu hören: "Ich kenn da nur so ein, zwei der Bands auf dem Poster, dafür geb' ich nicht so viel Geld aus!" Alte Hasen können da nur wissend schmunzeln. Ja, normalerweise kennt man nur die wenigsten Bands, die auf Deutschlands größtem Clubfestival spielen. Gerade das ist der Spaß – und er ist jeden Cent wert. Aber eines ist klar: Das Reeperbahn Festival ist wahrlich kein Festival für Anfänger – sondern etwas für richtige Profis.

Und damit sind nicht nur die zahlreichen Delegierten von Labels, Promoagenturen und dergleichen gemeint, die neben dem Konzertprogramm fleißig zu allerlei Themen tagen und wie wild networken. Man erkennt sie an den demonstrativ zur Schau gestellten blauen Bändern um den Hals. So manch regulärer Besucher mag sich bei der Fülle der Delegierten in diesem Jahr fragen, ob man hier die Gästelistenplätze hinterhergeworfen bekommt. Das nun nicht, aber es ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Konzept des Reeperbahn Festivals nicht nur bei Besuchern, sondern auch auf Seiten der Musikindustrie immer mehr Zuspruch erhält – sei es nun beim Gastspiel in New York oder auf dem heimischen Kiez.

Aber auch, wer nur nach Hamburg gekommen ist, um hier die musikalischen Neuentdeckungen von morgen schon heute in winzigen Clubs sehen zu können, muss ein bisschen mehr Zeit investieren als vier von mittags bis nachts mit Konzerten vollgepackte Tage. Dem gehen im Normalfall Stunden und Stunden des Zeitplan-Puzzelns und Probehörens voraus. Wie soll man sonst schließlich spontan entscheiden, zu welchem der bis zu 20 gleichzeitig stattfindenden Gigs man gehen soll? Während des Festivals muss man dann aber trotzdem immer die Lauscher spitzen: Der Showcase der Riot Grrrls von Dilly Dally fällt aus? Dann schnell über den halben Kiez eilen, um Tom-Waits-Soundalike Ben Caplan auf dem Spielbudenplatz zu sehen. Pete Doherty hat tatsächlich alle drei Flüge, die ihm die Plattenfirma gebucht hat, verpasst und sitzt jetzt immer noch in London? Zwar schade, aber jetzt kann man "Von Pete Doherty versetzt worden" immerhin auf der Liste der Sachen, die man als Musikfan mal erlebt haben muss, abhaken. Der Secret Act bei der Warner Music Night sind Biffy Clyro? Geil, dann ist bei den gleichzeitig spielenden De Staat nicht so viel los und man kann ganz in Ruhe noch vorher bei The Paper Kites vorbeischauen. Als De Staat erst einmal angefangen haben, ist es nämlich mit der Ruhe vorbei. Bessere Botschafter für den Länderschwerpunkt Niederlande kann es gar nicht geben.

Auch in die Festivalnachlese muss man häufig noch Zeit investieren. Es gilt, zu rekonstruieren, welche Acts man tatsächlich gesehen hat und ob diese live gehalten haben, was die vorher angehörten Songs versprachen. Zum Problem kann hierbei das Nachmittagsprogramm werden: Seit ein paar Jahren gibt es bereits ab Mittag kurze Showcases von Bands in ein paar Läden. Das führt dazu, dass vor allem am Samstag diese Shows vollkommen überlaufen sind, weil oft nur zwei oder drei Bands gleichzeitig spielen. Nun lautet die Frage: War die 50-Meter-Schlange vor den Auftritten von Have You Ever Seen The Jane Fonda Aerobic VHS? und Like A Motorcycle gerechtfertigt, zeigt sie einen neuen großen Hype an oder lediglich, dass die Alternative zur Show darin bestanden hätte, auf dem Spielbudenplatz noch ein Bierchen zu trinken? Von der Qualität von Like A Motorcycle konnte man sich dann noch bei einem Auftritt bei Michelle Records überzeugen – hier wäre zwar zwischen den Plattenregalen durchaus noch Platz für mehr Zuschauer gewesen, aber die Punkrockerinnen überzeugen auf ganzer Linie. Und so geht man doch (wie in jedem Jahr) zufrieden nach Hause, den Kopf voller neuer Bands, das Portemonnaie um einiges leerer (aber dafür mit Neuzugängen für Platten- und Kleiderschrank) und freut sich schon fast wieder darauf, wenn im nächsten Jahr das Zeitplan-Puzzeln wieder von vorne losgeht.

Lisa Dücker

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