Festival-Nachbericht
Reeperbahn Festival 2015
Weil es zum Jubiläum auch mal etwas Besonderes geben sollte, haben die Veranstalter in diesem Jahr das erste Mal einen Länderschwerpunkt gesetzt, der allerdings traurigerweise im allgemeinen Überangebot untergeht. Einzig die Foodtrucks bleiben in Erinnerung: Finnischer Gin, Lammburger und Rentierfleisch (!) mit Preiselbeeren – mit diesem kulinarischen Angebot können anderen Festivals tatsächlich nicht mithalten. Der musikalische Anteil des Schwerpunktes bleibt allerdings etwas blass, was nicht unbedingt an den Bands liegt. Mit Showcases für norwegische, slowenische, kanadische, luxemburgische oder lettische und litauische Bands (um nur ein paar zu nennen) sind schon so viele kleinere Länderschwerpunkte in einzelnen Clubs gesetzt, dass einer mehr oder weniger einfach nicht auffällt – auch trotz eigener Bühne neben der Rentierfleischbude.
Aber man kann und will ja eigentlich gar nicht meckern; allerhöchstens darüber, dass man es nie schafft, alle Bands zu sehen, die man gerne sehen möchte. Das ist allerdings ein Risiko, das jeder Besucher des Reeperbahn Festivals kennt und bewusst in Kauf nimmt. Und es hat ja auch Vorteile: Wo sonst könnte man sich schließlich aussuchen, ob man den Samstagabend mit Qualitätspop von Wakey! Wakey!, Elektrogezappel von Egotronic, Indiepop von Schrottgrenze oder rockigem Soul von The Buttshakers ausklingen lässt? Und wie immer haben die Booker ein Händchen dafür bewiesen, genau die richtige Mischung aus großen Namen und Newcomern zu finden. Bei über 250 Bands das Niveau derart hoch zu halten, verdient Respekt. Während Wanda und die HipHop-Urgesteine Fünf Sterne Deluxe das Docks aus allen Nähen platzen lassen, sorgen nicht nur Awesome Welles für lange Schlangen vor den kleineren Clubs. Und auch, wenn mal nicht alles so läuft, wie es soll, läuft doch immer noch alles gut. Bei Spidergawd ist auf dem Flug nach Hamburg das Saxophon entzwei gegangen und damit das Alleinstellungsmerkmal der Hardrocker futsch – das Konzert ist trotzdem heillos überfüllt.
Für alle, die trotz all der regulären Konzerte den Hals nicht voll kriegen können, gibt es ja zum Glück noch zahlreiche Workshops, Panels, Kunstausstellungen und die Posterconvention Flatstock und außerdem die kleineren Showcases, die bereits mittags beginnen und im intimen Rahmen stattfinden – oder im Saturn am Hauptbahnhof, der jetzt auch offizielle Spielstätte des Festivals ist. Dass die Auftritte dort immer mal wieder von Kundendurchsagen gestört werden, nehmen Bands wie Quiet Company oder Tom Klose mit Humor. Im Plattenladen Michelle Records kann man (ganz ohne Durchsagen) ...Trail-Of-Dead-Frontmann Conrad Keeley dabei lauschen, wie er erst seine eigene Band, dann den ältesten Cowboy- und den ältesten Punksong der Welt covert, bevor er abends in der St. Pauli Kirche nochmal aufspielt. Diese zusätzlichen Shows sorgen dafür, dass alles eine Spur lockerer wird: Besucher müssen nicht hektisch von Club zu Club rasen, um alle parallel spielenden Bands zu sehen, sondern können sich treiben lassen und hier und da neue Bands entdecken, die sie vorher nicht auf dem Zettel hatten. Und auch auf den Bands lastet weniger Druck. Bei den Punkrock-Newcomern von Abramowicz war der Sound nicht so gut? Egal, am nächsten Tag spielen sie noch einen Auftritt, der dann um so mehr überzeugt.
Dass das Reeperbahn Festival mittlerweile zu einer absoluten Institution geworden ist, müssen wir gar nicht mehr diskutieren. Und das zeigt sich auch an dem Umgang der Hamburger mit dem Event: Nicht nur normale Kiezgäste tummeln sich nämlich im Festivalpublikum, sondern auch die Anwohner freuen sich über die Bühne, zu denen man auch ohne Bändchen Zugang bekommt. Und wenn The Courettes Freitagmittag spontan beschließen, auf einem Balkon über einer Kneipe auf dem Hamburger Berg noch einen weiteren Gig zu spielen, schauen die Anwohner zwar zunächst verwirrt aus dem Fenster, nicken dann aber fröhlich mit. Im St. Pauli Fanshop muss hingegen erst die Liveübertragung des HSV-Spiels beendet werden (0:1 gegen Schalke), bevor Isolation Berlin ihre Version von NDW darbieten dürfen. Ordnung muss schließlich sein. Da Hanseaten ja im Allgemeinen eher nicht so für ihre überschwänglichen Gefühlsausbrüche bekannt sind, kommt diese Akzeptanz des für den Kiez doch eher ungewohnten Festivalpublikums einer echten Hamburger Liebesbekundung gleich. Das Reeperbahn Festival gehört jetzt einfach zum Kiez dazu. Das sehen wir genau so. Auf die nächsten zehn!
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