Festival-Nachbericht

Haldern Pop Festival


Jeder, der einmal auf dem Haldern war, ist anschließend süchtig nach diesem heimeligsten aller heimeligen Festivals. Nirgends liegen relaxte Atmosphäre und hoher musikalischer Anspruch so dicht beieinander. Für diese einzigartige Kombination nimmt man auch wieder bereitwillig die 600km Anfahrt in Kauf. Auch dann, wenn das diesjährige Line Up auf den ersten Blick nicht so überragend daherkommt und die vergangenen Jahre wettertechnisch ein einziger Reinfall waren. Bei der Ankunft Donnerstag Abend stellte sich auch umgehend ein vertrautes Bild ein. Die Campingplatzwege waren von dem Regen vergangener Tage abermals in matschige Pfade verwandelt worden. Zwar (noch?) kein Vergleich zu den Schlammsümpfen des Vorjahres, aber ein etwas mulmiges Gefühl ließ sich nicht unterdrücken. Die Klänge, die vom Spiegelzelt herüberwehten, verdrängten aber sofort die aufkommende Panik und nach schnellem Zeltaufbau ging es auch schon auf kürzestem Wege zu der Ausnahmelocation vor dem eigentlichen Festivalgelände.

Den Festivaleinstand gaben für uns Tunng, die zwar mit etlichen technischen Problemen zu kämpfen hatten, deren zuckersüßer Dreampop aber sofort überzeugen konnte. Beeindruckend, wie prächtig alle vier Bandmitglieder gesanglich harmonierten, und mit einer großartigen Coverversion von Bloc Partys "The Pioneers" beendeten die Briten ihr Set. Anschließend folgten Two Gallants, die sich auf der Bühne äußerst wortkarg und unnahbar präsentierten. Unzugänglich auch ihre Setlist, bestehend aus größtenteils weniger bekannten und vor allen Dingen sehr langen Songs. So gesehen eher eine kleine Enttäuschung, da die Erwartungen im Vorfeld äußerst groß gewesen waren. Gar keine Erwartungen hingegen gab es an An Pierlé & White Velvet und das war auch besser so. Irgendwo im Radius von Tori Amos und PJ Harvey bewegte sich die belgische Formation, ohne dabei aber an deren Tiefe heranzureichen. So beliebig, dass keine Ausdauer mehr für Naked Lunch vorhanden war und die verbleibenden Kräfte lieber für die anstehenden beiden Marathontage gespart wurden.

Der Freitag begann gleich einmal mit einem Paukenschlag: Sonne satt. Passend dazu ließen es die Brakes im Spiegelzelt aber mal so richtig krachen. Mit ihren geradezu irrwitzig kurzen Songs entfachten sie eine Spielfreude, die durch umherfliegende Ananas und einen hyperventilierenden Sänger auf die Spitze getrieben wurde. Was für eine Show! Und das als eine der ersten Bands des Tages. Und es sollte bis zu den Spiegelzeltbands dauern, bis sich wieder eine ähnliche Begeisterung einstellte. Denn um es ganz klar zu sagen: Der Freitag auf der Hauptbühne wurde größtenteils geprägt von Enttäuschungen, Langeweile und Sonnenbrand. Die eröffnenden Ripchord gaben einen Ripoff bekannter Schrammelbands von der Insel. Tausendmal gehört. Da ändern auch Schlagzeugerin und ein Bierflaschenkick in die Fotografen nichts. Doch es ging noch schlimmer. Weder der alternativere Ricky Martin namens Gabriel Rios, noch die mit gewaltigen Stimmproblemen agierenden Polarkreis 18 konnten punkten. Ganz zu schweigen von dem unsäglichen Paul Steel, gegen den Mika noch vergleichsweise harmlos wirkt. Auch The View bewiesen im Anschluss, dass so langsam die Luft raus ist aus der Welle, die Franz Ferdinand und The Strokes losgetreten haben. Zum Glück wendete sich dann aber doch noch das Blatt. Zuerst sorgte Jamie T. mit einer gehörigen Portion Frechheit und James-Dean-Charme für gepflegtes Dandytum bevor The Magic Numbers den Sack auf der Hauptbühne mit einem grandios sympathischen Auftritt zu machten.


Photo Credits: Thomas Raich

Die Highlights des gesamten Wochenendes spielten sich aber erst danach im Spiegelzelt ab. Patrick Watson kann man gut und gerne als DIE Entdeckung des Festivals bezeichnen. Das dieser Mann in nicht allzu ferner Zukunft höchste Singer/Songwriter-Ehren bekommen dürfte, zweifelte nach seinem Auftritt jedenfalls keiner mehr an. The Electric Soft Parade ließen sich von dieser hohen Messlatte nicht beeindrucken und knüpften da an, wo deren Zweitband, die Brakes, am Mittag aufgehört haben. Anstatt punkig durckvoll zwar eher poppig, dafür aber mit einer gehörigen Portion Atmosphäre. Vielen war dieses Knallerdoppel genug und das Spiegelzelt leerte sich gehörig. Doch sie alle sollten das beste Konzert des Festivals verpassen. Under Byen erzeugten zu acht einen Gänsehautschauer, welcher den gesamten Gig über anhielt. Viel Nebel und Lichteffekte taten ihr übriges, um trotz der späten Uhrzeit nicht eine Sekunde an das Verlassen des Zeltes denken zu lassen. Mit diesem Erlebnis konnte man trotz eines tierischen Sonnenbrands einfach nur noch gut schlafen.

Der Samstag stellte so ziemlich das Gegenteil von Freitag dar. Auf der Hauptbühne jagte ein Highlight das Nächste, so dass an Verschnaufpausen kaum zu denken war. Einzig die Sonne strahlte weiterhin unerbittlich auf die geröteten Gesichter, doch wer wollte sich darüber schon beschweren? Beschweren konnte man sich, wenn überhaupt, dann über Navel, die sich doch bitte umgehend auflösen, oder eine Zeitmaschine in die 90er nehmen sollten. Nirvana-Coverbands braucht es jedenfalls keiner mehr. Was wir brauchen sind mehr Bands wie Serena Maneesh. Die standen zwar auf Kriegsfuß mit der Technik, zogen aber eine Show ab, die man so nicht häufig zu sehen bekommt. Wildes Herumzucken des Frontmannes, inklusive mehrerer Stürze und dann noch die Gitarre abgeräumt. Rock´n Roll!!! Friska Viljor konnten da eigentlich nur verlieren, setzten aber noch einmal einen oben drauf. Mehr Humor und Spaß gab es von keiner anderen Band und so waren die Schweden auch bis zum Ende Liebling der Herzen. Voxtrot und Johnossi spielten im Anschluss routiniert ihr Set, ohne dabei zu sehr hervorzustechen. Dann schon eher Malajube, die wie hibbelige Irrwische auf der Bühne ihr Unwesen trieben. Selbiges galt natürlich erst recht für Architecture In Helsinki, obwohl diese nicht ganz die Klasse ihrer Clubshows erreichten. Eine ganz andere Baustelle bearbeiteten dann Loney, Dear. Wunderschöner Schwedenpop war genau das Richtige zu der untergehenden Sonne und das Stichwort für die Pärchen, die schon einmal ihren ganz eigenen Festivalabschluss in inniger Umarmung zelebrierten. Der Abschluss für uns bildeten dann zwecks Rückfahrt am Abend bereits die Shout Out Louds. Um ehrlich zu sein waren sie auch schon vorher der heimliche Headliner des Festivals und diese Rolle füllten sie auch problemlos aus. Mit einem emotionalen "Very Loud" war somit auch für uns Schluss.

Trotz der Bedenken im Vorfeld erwies sich das Haldern Pop einmal mehr als feste Bank in der Festivallandschaft. Nie mehr wird an dir gezweifelt werden liebes Haldern, das sei hier mal feierlich gelobt. Wir sehen uns nächstes Jahr wieder und das Jahr danach auch und das darauf folgende Jahr auch und...

Benjamin Köhler

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