Festival-Nachbericht
Haldern Pop Festival
Nach einer bisher sehr verregneten und mainstreamlastigen Festivalsaison war die Vorfreude auf das kleine aber feine Haldern Pop Festival auf dem Höhepunkt. Nur Gutes hatte man bisher über das Indiewochenende des Jahres gelesen und gehört: Sonne und 30°C, Baden im See, entspannte Atmosphäre, ausschließlich gute Bands.... Mit entsprechend hohen Erwartungen machten wir uns also am Freitag auf den Weg um pünktlich zur ersten Band vor Ort zu sein. An der guten Laune konnte auch vorerst nicht die Interviewabsage von Moneybrother und die plötzlich immer dunkler werdenden Wolken etwas ändern.
Angekommen, sehen wir alle Lobpreisungen bestätigt. Keine volltrunkenen Prollchaoten, die dir erstmal vor das Auto rennen und auch keine Böhse Onkelz weit und breit zu hören. Auf dem Zeltplatz steht man erstmal fassungslos vor den ca. 20m², die für das Dreimannzelt zur Verfügung stehen. Sind wir wirklich auf einem Festival gelandet? Während wir noch achselzuckend das Zelt aufbauen macht das Gerücht eines Sportfreunde Stiller Geheimgigs im Spiegelzelt die Runde. "Unmöglich!", denken wir, bis die ersten Klänge vom "Heimatlied" erklingen. Jetzt bloß kein Stress! Lieber in Ruhe aufbauen und danach zur ersten regulären Band gehen. Gesagt, getan.
Ein kurzer Blick auf das Festivalgelände lässt sofort eine Frage in den Kopf schießen: Was passiert mit diesem Lehm-/Sandboden, wenn es zu regnen anfängt? Die Antwort erfolgt pünktlich zur Eröffnungsband Millionaire, als es plötzlich schüttet wie aus Kübeln. Na toll, Glastonbury schickt freundliche Grüße ans Festland und verwandelt den Platz vor der Bühne in eine riesengroße Matschsuhle. Millionaire zeigen sich indes relativ unbeeindruckt und versuchen die etwas bedrückte Menge in ihren Bann aus psychedelisch-rockigen Songs des kommenden Albums zu ziehen. Ja, man hat es schon schwer als Opener eines Festivaltages und so verabschieden sich die belgischen Weirdos eher unspektakulär. Ganz anders die für Ocean Colour Scene eingesprungenen Art Brut. Allein das Bild, dass die Band auf der Bühne darstellt ist schon auf beinahe lächerliche Weise paradox: Ein Drummer, der in bester Bela B. Manier im Stehen spielt (kommt ja schließlich auch aus Deutschland!), ein Gitarrist, der Elvis Costello´s Bruder sein könnte, ein zweiter Gitarrist, der frisch aus dem Emozoo entlaufen scheint und eine Bassistin, die mit etwas mehr Speck auf den Hüften als Kim Deal Double durchgegangen wäre. Dazu ein völlig entfesselter Eddie Argos, der es sich nicht nehmen lässt sich in die regennasse Menge zu werfen und dabei eindringlich vor Pete Doherty zu warnen. Das ist Entertainment! Genau das erklären sich auch The Robocop Kraus zum Ziel und sorgen zum ersten Mal an diesem Wochenende für hippelige Tanzbeine und Schlammspritzer bis jenseits der Hüfthöhe. Da kann auch der anhaltende Regen nicht die Stimmung trüben und gespannt warten alle auf den Hype der Stunde, die Kaiser Chiefs. Nun, alle warten nicht. Wir machen uns zum Pressezelt auf um Millionaire zu interviewen. Kaum das Zelt betreten, schwant uns schön Böses. Ein sichtlich angetrunkener Tim Vanhamel hängt der Promoterin wie ein kleines Kind am Rockzipfel und plappert unablässig auf sie ein. Mit gequälter Miene vertröstet man uns auf die Clubtour, da die Band offensichtlich nicht in der Lage ist Interviews zu geben. Ein Blick auf den mittlerweile mit Luftballons spielenden Sänger beweist dies eindrucksvoll.
Die Kaiser Chiefs rocken derweil wie ein Wirbelwind über die Bühne und zeigen, dass sie von den Livequalitäten her längst über den Status eines Geheimtipps hinweg sind. Zu immer wiederkehrenden "Oh My God..." Sprechchören verabschieden sich dann schließlich Ricky Wilson und Co. Mit Nada Surf soll im Anschluss dann auch die Sonne endlich aus den Wolken brechen. Den gebeutelten Festivalbesuchern wird es nicht nur deshalb warm ums Herz, denn die Indieinstitution aus New York bezaubert durch ihre tollen Popsongs, die das kommende Album umso gieriger herbeigesehnt werden lassen. Sänger Matthew Caws hat sogar Geburtstag und wird prompt durch ein Ständchen belohnt. Er sollte nicht das einzige Geburtstagskind an diesem Wochenende bleiben. Im Gegensatz zu der schlichten Show von Nada Surf, fährt das Kaizers Orchestra alles auf, was es zu bieten hat. Da wird auf Blechtonnen eingeschlagen und die Orgel bearbeitet, dass es eine Wonne ist. Sänger Jan Ove Ottesen gibt dazu die Rampensau und lässt die Sprachbarriere völlig vom Bildschirm verschwinden. Da ist es auch egal, dass bei jedem Tanzschritt die Schuhe fast im Schlamm stecken bleiben. Ins Zelt will jetzt sowieso keiner mehr, denn nach seinem Orchester kommt der Kaiser höchstpersönlich. Franz Ferdinand haben schon gewonnen, bevor sie angefangen haben. Als heimlicher Überheadliner sind sie für viele der Besucher der Hauptgrund ihres Kommens. Das wissen auch Franz Ferdinand, die dem Publikum das geben, was es verdient: Hits am Fliesband! Die Menge ist total in Ekstase und feiert jeden Song euphorisch mit. Selbst die neuen Songs werden dankbar aufgenommen und fügen sich nahtlos an das alte Material. Hier und da bemerkt man einen kleinen Verspieler oder Aussetzer, aber im Hinblick auf die Tatsache, dass die Band noch nicht eingespielt sein kann, verzeiht man dies großzügig. Für die nachfolgenden Saybia fehlt dann doch die Ausdauer und so gehen wir mit schmerzenden Beinen lieber in das Spiegelzelt um sitzend den belgischen Zita Swoon zu lauschen. Kaum auf einer Holzkiste Platz genommen übermannt uns aber eine so große Müdigkeit, dass wir uns gerade mal noch zu den Schlafsäcken schleppen können.
Der nächste Morgen beginnt mit herrlichen Sonnenstrahlen, die uns schnell aus dem Zelt locken. Frühstücken, ohne einen Schirm über den Tisch zu halten! Das ist doch mal was! Gut gelaunt sind wir, bis das Handy klingelt: "Hi Ben! Sorry I have to catch an earlier flight..." meldet sich St. Thomas. "Hey Carsten, das St. Thomas Interview fällt flach. Was ist bloß aus den ganzen Musikern geworden? Sind die aus Zucker?" Als St. Thomas dann den Samstag eröffnet, wissen wir, dass der Mann wohl einfach den Wetterbericht gelesen haben muss. Aus dem Nichts fegt ein Wolkenbruch über Haldern und die geschätzten 30 Leute vor der Bühne sind wohl die ganz großen Hardcorefans. Wir verziehen uns jedenfalls in das gemütliche Spiegelzelt um mit diversen Musikexpress Redakteuren und Forenmitglieder zu plaudern. Plötzlich strömen ganze Menschenmassen herein. The Magic Numbers hatten Stau auf der Autobahn und spielen jetzt im Spiegelzelt um auf der Hauptbühne nicht The Coral in die Quere zu kommen. Genau die wollen wir aber sehen und begeben uns wieder nach draußen, wo wie auf Kommando der Regen wieder einsetzt. Es regnet Bindfäden und die können nicht mal The Coral mit ihrer hippiesken Musik schön singen. Obwohl sie routiniert ihr Set herunterspielen, merkt man auch der Band ihr Unbehagen an und so bleibt der erwartete Höhepunkt leider aus. Wie begossene Pudel schleichen wir zum Pressezelt um uns zusammen mit der restlichen Journalistenmeute am Buffet zu stärken und vor allem um im Trockenen zu sein.
Moneybrother schafft es tatsächlich die Wolken zu vertreiben und liefert einen mitreißend unterhaltsamen Gig ab. Aber mittlerweile ist Deutschland auch die zweite Heimat von dem kleinen Herrn Wendlin und er hat sowieso alle Sympathien von vorneherein inne. The House Of Love hingegen ist wohl nur den älteren Zuschauern ein Begriff und die Begeisterung hält sich deutlich in Grenzen. Naja, sonderlich fesselnd sind die Veteranen auch nicht wirklich und der Auftritt versinkt im Sand, ähh, pardon im Schlamm. Richtig, schon wieder beginnt es zu regnen. Es ist wahrlich zum Mäuse melken! Zu gerne könnte man die Sonne vertragen, die in Phoenix fast das ganze Jahr scheint. Die gleichnamige Band macht aber mindestens genauso viel Spaß. Mit ihrem Mix aus Pop und Danceelementen muss man nicht lange zum Mittanzen animieren. Die Mädels in den ersten Reihen scheinen wohl an dem Sänger auch ihre Freude zu haben. Ob die wissen, dass das der Freund von niemand geringerem als Sofia Coppola ist? Die intellektuellen Tocotronic wissen das ganz bestimmt. Und sie wissen auch, wie man eine ganz große Show abliefert. Mit pompösem Klassikintro betreten die wie immer stilbewusst auftretenden Hamburger die Bühne. Was folgt ist eine Mischung aus Wahnsinn (Dirk von Lowtzow´s Ansagen), Gänsehaut ("Hi Freaks") und brachialer Noiseorgie (der Konzertabschluss "Neues Vom Trickser"). Achja, das zweite Geburtstagskind Arne Zank nicht zu vergessen! Dann wird es unangenehm voll, denn alle wollen Mando Diao sehen. Alle bis auf uns, wir ziehen abermals das Spiegelzelt vor (und das nicht nur wegen dem strömenden Regen!). Drinnen wird zu allem was Rang und Namen hat getanzt. Schon recht paradox, wenn man bedenkt, dass gleich die Leisetreterin Emiliana Torrini auftreten wird. Um 1 Uhr gibt sich die Dame schließlich die Ehre. Vom ersten Ton an liegt dieser Funke in der Luft, der auf alle überspringt. Die schöne Isländerin bricht reihenweise Männerherzen mit ihrer unfassbar schönen Stimme und die Frauen schmelzen von den sanften Akkustikklängen der Begleitband dahin. Wie niedlich sie doch aussieht! Und wie leicht sie errötet, als sie ein paar Banausen auf charmante Art und Weise zur Ruhe bringt. Die Ansagen sind sowieso die besten des ganzen Festivals und lassen Eddie Argos als Komiker ganz alt aussehen. Leider sind aber auch die schönsten Konzerte irgendwann zuende und wir sind uns einig, dass dies der perfekte Abschluss eines tollen Festivals war. Hoffentlich dann nächstes Jahr mit den 30°C und einer Runde schwimmen im See!
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