Festival-Nachbericht

Berlin Festival 2012


Nur noch wenige Minuten, bis die Schleusen öffnen, dann heißt es wieder: "Wir landen in kürze in Tempelhof, wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt in unseren Hangars und hoffen, sie auch an diesem Wochenende begeistern zu können". Freitagnachmittag, Berlin, der Undercut sitzt, willkommen zum Hauptstadtgrößten Hipsterfestival. Alles Klischees? Was uns zwischen den Tragflächen erwartet hat, lest ihr hier.

"Berlin, Berlin, wir fliegen nach Berlin". Ankunft mit der U-Bahn: Fluglotsen weisen den Weg zum richtigen Gate, den Check-In übernehmen freundliche Damen im Flugbegleiterinnenoutfit. Wenige Augenblicke später erreicht man sie, die Landebahn. Von den Eingängen herab kann man sich ein gutes Bild vom Festival machen – links die Hauptbühne, vor einem der übliche Merch- und Essbereich, rechts das sogenannte "Art Village" und eine Hangarbühne. Bei angehmem Septemberwetter spielen gerade Of Monsters And Men, eine Radiopopvariante von Arcade Fire. Trotzdessen das Festival gerade erst begonnen hat, findet sich bereits eine gute Anzahl Zuschauer vor der Bühne und lässt sich zu Mitklatschen und Tanzen animieren. Nebenan präsentieren Die Heiterkeit ein Kontrastprogramm. Der Bandname pure Ironie, die Stimme der Sängerin tiefschwarz, der Sound düster. Zum Nachmittag ein wenig anstrengend, daher kann man erst einmal das Gelände erkunden. Der Autoscooter ist ja bekannt, aber was ein Biersponsor dem draufsetzt, scheint wirklich zu viel des Guten: Ein Casino mitten auf dem Festivalgelände. Außerdem neu, toll und gut benutzt: Ein Bolzplatz. Sollte jedes Festival haben. Besser zwei.

Derweil das übliche Dilemma: Der Timetable. Der Soulpop des Michael Kiwanuka, Elekropop mit Clock Opera oder die sinnliche Daughter? Dank kurzer Wege lässt es sich zumindest schnell umentscheiden. Wenig später erscheint unglaublicherweise Lena Meyer-Landrut auf der Hangar4-Bühne. Ein zweiter Blick, dann die Feststellung: Es ist doch Kate Nash. Ihr buntes Popsternchenimage scheint sie abgelegt zu haben, statt dessen hat sie jetzt den Punk entdeckt. Passend dazu allerdings auch der Ton, von dem man erstmals mitbekommt, wie schlecht die Soundverhältnisse sind. Denn, wenn ein großer Kritikpunkt von diesen zwei Tagen zurückbleiben wird, dann der, dass so ziemlich jede Band damit zu kämpfen hat, dass die Songs bis zur Unkenntlichkeit verfremdet sind. An den Hangars fehlt es an Schalldämpfung, so dass sich Töne in den riesigen Hallen doppeln und zu einem unhörbaren Matsch verdichten. Dies trifft insbesondere Kate Nash und die am zweiten Abend spielenden Soundtrack Of Our Lives hart, bei denen man einen großartigen Auftritt sehen, aber kaum etwas heraushören kann, selbst wenn man noch so nah an der Bühne steht.

Hangar5 dagegen ist permanent zu leise. Schon am Eingang zum offenen Hangar tendiert die Lautstärke gegen Null, bei Major Lazer fehlt teilweise der Bass völlig. Den bekommen dafür Sigur Rós in einer solchen Heftigkeit serviert, dass sich Zuschauer selbst in den hinteren Bereichen reihenweise die Ohren zuhalten müssen. Klar, die Band ist bombastisch, bringt ein halbes Orchester mit, von dem aber nicht mehr als ein Dröhnen zu vernehmen ist, sobald Bass oder Bassdrum einsetzen. Dass die Isländer es dennoch schaffen, mit ihrem Auftritt den nachfolgenden Killers komplett die Show zu stehlen, zeigt, wie wunderbar diese Musik doch ist.

Zweiter Tag, gleiche Situation. Die Auftritte stehen im Schatten der miesen Akustik, einige Highlights lassen sich trotzdem ausmachen. Die psychedelischen Django Django sind dort zu nennen, oder WhoMadeWho. Franz Ferdinand präsentieren erstmals Songs ihres baldigen Albums, die sich solide in die bekannten Hits einfügen. Sparen kann man sich lediglich Bonaparte, die zwar nackte Haut bieten, ansonsten aber trashigen Elekrorock, dem jegliche Spannung abgeht. Von Kraftklub wünschte man sich, dass sie den Inhalt ihrer Lyrics ernst nehmen würden. "Ich Will Nicht nach Berlin" – Ja, dann bleibt doch in Karl-Marx-Stadt, das ihr so abfeiert! Egal, denn auch wenn zu dieser Band nichts parallel spielt – der Bolzplatz hat keine Umbaupause.

Zum Abschluss gibt es dann Paule. Kalkbrenner. Wie man später sagen wird, war der Auftritt im Stream als sehr gut zu anzusehen. Wer allerdings vor Ort ist, muss schon sehr weit vorn stehen, um in festivaladäquater Lautstärke mittanzen zu können. Besser haben es da SBTRKT, bei denen Sound und Stimmungsmache der Menschen, die sich zu Hangar5 verirrt haben, deutlich besser ist – ein würdiger Abschluss des Open-Air-Programms.

Als Fazit bleibt stehen, dass sich unbedingt etwas an der Akustik ändern muss, damit sich die Auftritte auch genießen lassen. Abseits der Musik jedoch muss man es einmal sehr deutlich aussprechen: Für ein Festival dieser Größe hat das Berlin Festival wohl das beste Publikum dieses Landes. Zwar mögen die Äußerlichkeiten im Schnitt dem Klischee entsprechen, welches gemeinhin Hipster geschimpft wird, was Verhalten, Offenheit und Sozialkompetenz angeht allerdings, könnte es nicht besser sein. Ein absolutes Highlight stellt auch das Art Village dar, die Kunst und Projekte dort sind nicht nur zum Anschauen und Rätseln, sondern leben von der Teilnahme eines jeden, der mitmachen möchte. Gründe genug also, sich auch 2013 dafür zu entscheiden, im Tempelhof Airport zu landen.

Klaus Porst

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