Konzertbericht
The National
Wie weiß doch der Volksmund seit Friedrich Schiller: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Auf die Situation der Freilichtbühne Stadtpark umgemünzt, heißt dies konkret: Es kann die frömmste Band nicht im Dunkeln spielen, wenn der böse Anwohner pünktlich um 22.01 zu meckern beginnen muss. Eine konkrete Implikation: Selbst ruhigere Bands wie Sigur Rós oder Damien Rice mussten ihre Sets schon zu einem Zeitpunkt beenden, an dem andere meistens erst beginnen – die Atmosphäre hat dann gerne Angst vor'm Sonnenbrand und wartet auf den nächsten Hallengig.
Eine weitere Implikation: Wer früh aufhört, muss auch früher beginnen und demzufolge auch die Vorband zu bester Feierabendverkehrszeit vor's Publikum jagen. Wenn es sich, wie im Falle von The National, gleich um zwei Vorbands handelt, kann eben jenes Publikum dann durchaus auch ziemlich überschaubar sein. So schaut sich dementsprechend nur eine knappe Handvoll Hanseaten bereits um 18.30 den lauschigen Akustik-Folkpop von The Middle East an – und das aufgrund des lachenden Sommerwetters zudem mit Vorliebe auf den Wiesenboden gefläzt. Als knapp eine Stunde später Midlake antreten, um den Preis für die vielleicht spannendste Vorband des Jahres abzusahnen, ist die Besucheranzahl zwar schon in den vierstelligen Bereich gehüpft, den Texanern wird trotzdem mit eher verhaltenem Interesse begegnet. Midlake stören sich nicht daran und brechen in 35 Minuten Bühnenzeit jedem das Herz, der ein gebrochenes Herz begehrt.
Als The National dann den Trend zur Melancholie fortsetzen und ihr Set mit „Runaway“ eröffnen, ist die Tagesschau gefühlt knapp bei der Wettervorhersage angekommen und noch nicht einmal von Dämmerung ist zu sprechen. Ob es an den ungewohnten Lichtverhältnissen oder an dem Umstand liegt, dass Matt Berninger seine konzerttägliche Ration Rotwein noch nicht absolviert hat – der Chefbariton von The National wirkt beizeiten leicht unkoordiniert, wenn er in etwa den gewohnten Halt des Mikrofonständers verlässt und sich gen Publikumszaun aufmacht. Eine kleine Portion Clown scheint Berninger dennoch auch vor dem Stadtpark-Konzert gefrühstückt zu haben – was sich unter anderem in seiner mit Nachdruck vertretenen Meinung manifestiert, dass „Cardinal Song“ der most evil Song der National-Karriere sei.
A propos „Cardinal Song“: Kann sich das Hamburger Publikum auch glücklich schätzen, mit diesem Schmankerl aus längst vergessen geglaubten „Sad Songs For Dirty Lovers“-Zeiten und anderen Kleinoden wie „Daughters Of The Soho Riots“ eher selten gespielte Perlen serviert zu bekommen, fallen viele All-Time-Favorites, die für gewöhnlich den letzten Zugabenblock bilden, dem frühen Curfew zum Opfer: Goodbye „Mr. November“, „About Today“ – nicht heute. Da jedoch auch die Songs von „High Violet“ schon beängstigend schnell Klassikerstatus anzunehmen scheinen, ist dann auch „Terrible Love“ als Abschluss akzeptabel. Denn auch bei zwangsweise gekürzter Auftrittsdauer schickt die vielleicht beste Band der 00er Jahre kaum jemanden unzufrieden ins Bett – außer den Anwohnern vielleicht. 22.03 ist es dann nämlich doch geworden.