Konzertbericht

The Mars Volta


Frühjahr 2003, Hamburg, Color Line Arena. Da haben sich die Red Hot Chili Peppers aber eine merkwürdige Vorband angelacht: The Mars Volta heißen die, sind zu diesem Zeitpunkt noch ohne Album und höchstens jenen Konzertbesuchern bekannt, die wenige Jahre zuvor auch das Grab der nunmehr legendären At The Drive-In beweint haben. Der Großteil des Publikums wirkt jedoch eher befremdet von dem, was die zwei jungen Herren mit dem Afro und der Rest der Band dort auf der Bühne anstellen: Gitarrengefrickel jenseits von Gut und Böse, klassische Songstrukturen Fehlanzeige, für das unvorbereitete Ohr ungefähr so anstrengend wie es der ungeschützte Blick in die Sonne für die Augen ist. Als Teile von Mars Volta dann gegen Ende des Chili-Peppers-Auftritts Flea und John Frusciante bei einer ungezügelten, scheinbar niemals enden wollenden Jamsession unterstützen, wird das Fragezeichen in den Köpfen vieler Hamburger noch einmal rot unterstrichen: Spielen können die Kerle ja - ABER WAS ZUM TEUFEL MACHEN DIE DA?

Februar 2008, Hamburg, Docks, ein halbes Jahrzehnt später. Aus einem angekündigten Album der Progger sind mittlerweile vier veröffentlichte geworden, zumindest "De-Loused In The Comatorium" ist von der Fachpresse liebervoller aufgenommen worden als ein ganzer Zoo voller Eisbärkinder, "Frances The Mute", "Amputechture" und "The Bedlam In Goliath" taten mit Eigenheiten wie minutenlangem Froschgequake dann alles, um die Musikwelt zu spalten und mit "Mars-Volta-Fan oder Mars-Volta-Hasser" die entscheidendste Grundsatzfrage seit "Popper oder Punker" zu stellen. Im Mainstream angekommen ist die Band - natürlich - nicht, mindestens 8 von 10 Peppers-Freunden werden The Mars Volta immer noch nicht einmal ansatzweise auf dem Radar haben, recht gut gefüllt ist das Docks, die charmefreie Großraumdisco auf dem Spielbudenplatz dennoch - trotz der Begleitumstände: 30 Euro sind eine gute Stange Geld und "Beginn: Pünktlich 20.00 Uhr" lässt Otto Normalkonzertjunkie eigentlich auch eher an die Tagesschau als ein Prog-Rock-Konzert denken. Wer trotzdem pünktlich ist, wird für diese Tugend natürlich bestraft und darf sich circa eine halbe Stunde lang das Banner hinter dem Schlagzeug anschauen, das scheinbar zwei Aztekenkrieger mit Insektenkopf vor einem großen, goldenen Batzen...irgendwas in psychedelischen Farbtönen darstellen soll.

Um Punkt 20.31 lassen dann Omar und Cedric ihre Lockenköpfchen blicken. Den Anfang macht jedoch Thomas Pridgen am Drumset, der dieses sogleich wie ein Wahnsinniger zu vertrimmen beginnt und ein Stargate in die Dimension des kompletten musikalischen Wahnsinns öffnet. Sekunden später beginnt dann auch Rodriguez-Lopez, mit seinen Fingern in einem Tempo über die Saiten seiner Gitarre zu rasen, das den Flügelschlag eines Kolibris lahmarschig erscheinen lässt und vergessen macht, dass auf der Bühne ja eigentlich auch noch Bassist, Percussionist, Keyboarder und Saxophonist stehen, deren Spiel eigentlich nicht weniger Aufmerksamkeit verdient. Nicht zu vergessen natürlich Vocalist (Man könnte hier auch das deutsche Wort Sänger benutzen, aber...) Bixler-Zavala, dessen Stimme ähnlich schnell zu den höchsten Tönen emporschießt wie das Metall ein mit Schmackes getroffenes Hau-den-Lukas-Gerät und der an jenen Stellen, an dem seine Stimme einmal Sendepause hat, dem Wort "Ausdruckstanz" anscheinend eine neue Bedeutung verleihen will: Bixler-Zavala springt, tanzt, moonwalkt, fällt und steht wieder auf, im Takt, entgegen des Taktes, anstelle des Taktes - und das alles im schicken Zweireiher.

Die übliche Frage bei Mars-Volta-Gigs: Spielt die Band auch wirklich ihre Songs oder gniedelt sie (anscheinend) strukturlos vor sich hin? Diesmal lautet die Antwort: Ja - auf beide Fragen. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich die Strukturen kompletter Mars-Volta-Songs allerhöchstens marginal verinnerlicht habe (Mag man Unfähigkeit nennen, ich sehe es lieber als Vorhängeschloss an der Pforte zum Wahn an). Trotzdem fällt selbst dem Laien auf, dass die Band ihre Songs auch diesmal immer wieder mit Jamsessions, Soli und ähnlichem ausschmückt, sich dabei jedoch meist im Großen und Ganzen noch in den von den Alben bekannten Strukturen bewegt. Mars-Volta-Stücke sind nun einmal wie große Puzzles, die live gerne einmal auseinandergepflückt, mit fremden Puzzlestücken vertauscht und mit dem Schweißbrenner wieder zusammengelötet werden.

Um 22.57 ist der Spuk (die Redewendung ist hier durchaus mal nicht ganz unpassend) dann wieder vorüber - 30 Euro sind eine gute Stange Geld, relativieren sich bei gut 2,5 Stunden Spielzeit ohne Pause oder nerviges, applausgeiles Von-der-Bühne-gehen aber auch wieder. Man kann The Mars Volta für ihr Gegniedel hassen, aber eine Live-Attraktion sind sie zweifelsohne. Nur die Frage bleibt noch immer unbeantwortet: WAS ZUM TEUFEL MACHEN DIE DA?

Jan Martens