Konzertbericht

Sophie Hunger


Feuilleton-Liebling zu sein, ist in den meisten Fällen Fluch und Segen gleichermaßen. Der Aneignung durch die intellektuelle Elite folgt oftmals eine unmittelbare Ablehnung der breiteren Masse. Wer sich einmal verdächtig gemacht hat, er würde verkopfte Überkunst-Musik für Journalisten machen, der findet selten seinen Weg in den Mainstream. Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger bildet eine der seltenen Ausnahmen. Sie ist unnahbar wirkende Künstlerin, die man auf dem Musikkonservatorium bespricht, und erfolgreiche Pop-Hymnen-Schreiberin gleichermaßen. Bei ihrem Auftritt im Heimathafen Neukölln spiegelt sie vor allem ihre Pop-Seite wider und das Publikum dankt es ihr.

Das Album ist zwar noch nicht besonders lang draußen, aber dank einer Vielzahl an Kulturteil-Redakteuren sollte sich eigentlich längst rum gesprochen haben, wie gut "Supermoon", die Neue von Sophie Hunger, eigentlich geworden ist. Trotzdem versucht vor dem Heimathafen Neukölln noch jemand seine Karten zu verkaufen. Als Support Faber aus Zürich die Bühne betritt, ist die Halle längst nicht gefüllt. Es ist draußen immer noch hell und viel spielt sich auf den Bänken und Stühlen im Innenhof ab. Der Querschnitt der Leute sieht aus wie bildende Künstler. Man kann Gespräche überhören, in denen Leute süddeutsche Dialekte sprechen und jemand, der eigentlich viel zu jung dafür aussieht, hat gerade eine Eigentumswohnung in Berlin gekauft. So viele FAZ- und SZ-Abonnements hat man selten auf so wenigen Quadratmetern gesehen und unweigerlich fragt man sich, wie das mit der Stimmung später werden soll, wenn jeder nur aufpasst, dass er seine Weinschorle nicht auf das 200-Euro-Hemd schüttet.

Immerhin ist die Halle komplett gefüllt, als Sophie Hunger auf die Bühne kommt und den ersten Song spielt. Seit sechs Monaten würden sie und die Band sich schon auf den Auftritt freuen, aber sie hätten kaum geübt und spielen jetzt einfach ein paar Lieder, behauptet sie. Reine Koketterie, aber eben genau ihre Art von Humor. Dann spielt die Band schon die Leadsingle von Supermoon. "Love Is Not The Answer" rollt los und es besteht augenblicklich kein Zweifel mehr: Der Heimathafen ist an diesem Abend ein Saal voller Fans, in dem "frenetisch" eine maßlose Untertreibung ist. Das Künstler-Publikum ist vernarrt in Sophie Hunger und das braucht die Musikerin, um ihre Spielfreude zum Höhepunkt zu treiben. Unter tosendem Applaus beginnt Sophie Hunger jeden Song mit einem breit, breiter, breitestem Grinsen in ihrem schönen Gesicht und bricht mit der Stimme immer wieder enthusiastisch aus wie ein junges Pärchen, dem egal ist, ob die Nachbarn sie beim Sex hören können. Abwechselnd sitzt sie am Klavier oder steht an der Gitarre und singt Zeilen wie "Du hast gut lachen, denn du bist wunderschön" und kündigt mitten im Song an, dass "jetzt ein krasses Solo kommt", bevor ihr Gitarrist, in einem glänzenden purpurnen Hemd, übernimmt und für ein paar Sekunden den Slash raushängen lässt. Das ist frech, das ist cool.

Der Jubel über den letzten Song ist noch nicht ganz vorbei, da ertönen die ersten Klänge von "Das Neue". Während Sophie Hunger die Silben spielerisch trennt, macht das Herz zu ihrem Stakkato-Gesang immer wieder eine ganze Reihe von Freudenhüpfern, als würde es im Brustkorb seilspringen. Während sie zwischen den Songs die Instrumente wechselt, sucht die Schweizerin gelegentlich nach Vokabeln. Immerhin singt sie in vier Sprachen, zwischen denen wohl kein anderer Künstler so charmant wechseln kann, aber dafür dauert es eben manchmal einen Moment, bis sie das passende Wort gefunden hat. Nach einem Seitenhieb gegen Tokio Hotel, die sich im Heimathafen zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert haben, spannt Sophie Hunger die Mundharmonika auf, wobei sie etwas Probleme hat. "Ich verdiene genug, ist nicht so schlimm", wirft sie in den Raum. Später wird deswegen jemand über sie sagen, dass sie arrogant wirkt. Das kann man so sehen, trotzdem behält sie den Großteil der Sympathien im Saal. Besonders, weil es direkt danach zu einem Dylan-Moment kommt. Der Song "Take A Turn" wirkt mit Zeilen wie "a hidden heart will be very hard to take" und eben jener Mundharmonika wie ein zeitloser Klassiker und mit einem schnellen Blick versichert man sich, dass keiner die Träne gesehen hat, die einem gerade die Wange runtergekullert ist.

Nach ungefähr anderthalb Stunden ist Sophie Hunger dann fertig, ausgelaugt. Sie hat es sich nicht nehmen lassen, gleich zwei Zugaben zu spielen und das dankbare Publikum wäre sicher noch für einen dritten Augenblick geblieben, aber das Licht geht an und das Weinglas ist leer. Sophie Hunger ist ein Phänomen. Sie schafft es, Leute zu berühren, die zumindest so tun, als hätten sie schon alles gesehen und holt trotzdem junge melancholische Menschen mit ihrer Mischung aus konkreten und kryptischen Texten früh ab. Wie sie das genau macht, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Den Heimathafen hat sie auf jeden Fall gerockt. Das kann man so sagen. Jung und frech. Als ich den Heimathafen verlasse, sehe ich, wie jemand mit einem Taschentuch auf Brusthöhe an seinem Hemd rumwerkelt und grinse schelmisch. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, während ich ich die trübe Ummantelung von Sophie Hungers Welt durchstoße und in die Realität zurückkehre. Für den Rückweg kaufe ich mir ein Flaschenbier.

Arne Lehrke