Konzertbericht

Sleaford Mods


Ein Mikrofon, ein Laptop: Die Sleaford Mods brauchen nicht viel auf der Bühne. Trotz allem Minimalimus ist einer ihrer Auftritte alles andere als langweilig. Wir waren für euch bei ihrem Konzert in Schaffhausen mit dabei.

FUCK OFF! Eigentlich sollte das hier eine Rezension werden. Doch daraus wird nun nichts. Warum? Ganz einfach. Geschrieben wurde über die Mods schon so viel. Ihre Geschichte, ihre Musik, ihre Texte. Das Feuilleton hat sich an ihnen ergötzt. Google spuckt so gut wie alle Infos aus. So weit, so gut. Herauszulesen ist immer der Eifer des jeweiligen Rezensenten. Wie toll das doch alles ist und wie einzigartig. Die Crux an der ganzen Sache: Habe ich noch nie etwas gehört von den Mods und lasse ich mich von einer Rezension dazu bewegen in deren Musik reinzuhören, so verstehe ich von dem aggressiven Sprechgesang als Deutscher erst einmal (fast) nur Bahnhof und dann bevorzugt die Wörter "Shit" oder "Fuck". Dazu dann auch noch die monotonen Beats. Und was soll nun daran toll sein? War doch schon mal alles da. Akte zu, Deckel drauf, Stempel: Unbegründeter Hype drauf.

Eine normale Reaktion, denn musikalisch, das muss man nicht beschönigen, sind sie nichts Besonderes. Dass sie es aber auch nicht sein wollen, das tut beim ersten Hören nichts zur Sache. Kann ja jeder sagen. Gut, sie sind angepisster als andere Gruppen, aber das reicht nicht als Alleinstellungsmerkmal. Das Problem der Sleaford Mods: Ihre Trümpfe Authenzität und Haltung kann man nicht hören. Deswegen muss man sich das Duo einfach mal live anschauen. Ihr Motto ist dabei einfach: Fast nichts ist alles. Selten hatte ich so viel Spaß, bei so wenig Action auf der Bühne, wie am 23. Mai diesen Jahres im TapTab in Schaffhausen.

Angepisst sein kann jeder. Auf alles scheißen auch. Zumindest kann man viel davon reden und es entsprechend vertonen. Was dann davon übrig bleibt, das sieht man erst, wenn die Band auf der Bühne steht. Dort erkennt man schnell, dass die allermeisten Bands von einem nicht die Finger lassen können: dem Entertainment. Rumgehampel, Gesten, Animation für das Publikum. Im Endeffekt fällt die Maske und die allermeisten Bands verdeutlichen, dass es alleine darum geht, eine gute Show zu liefern und Kohle zu ziehen. Dabei wollen sie natürlich möglichst gut und trendy aussehen. In wohlsitzenden Szene-Klamotten. Mithilfe eines penibel gestylten Hipster-Barts und geiler Posen. Gähn. Eine Band, die sich den Arsch abrockt. Na und? DAS hat man schon tausendmal gesehen. Die Mods scheißen drauf. Und genau deswegen muss man sie live gesehen haben. Um zu begreifen, dass das Duo nicht nur schön daher labert, um Aufmerksamkeit heischt. Sondern, dass sie wirklich angekotzt sind. "Shit", "Fuck", "Cunt" bilden das Dreigestirn einer obszönen und exkrementalen Lyrik, die ohne den großen Knaller, die politischen Parolen, auskommt. Eine Patentlösung auf Besserung wird nicht geliefert. Das Leben ist scheiße. Punkt. Die Mods schimpfen darüber. Und das funktioniert eben besonders gut auf der Bühne. Hier verschmelzen die Mods die Monotonie und Perspektivlosigkeit ihrer Musik mit der Show, nämlich indem sie sich dieser komplett verweigern. Ironischerweise gelingt ihnen mit diesem Antitainment, der Reduktion aufs Wesentliche, dann doch irgendwie Entertainment.

Das liegt am konsequenten Minimalismus, den die Mods völlig unaufgesetzt und konstruiert zelebrieren. Alles beginnt bereits mit der Instrumentierung: ein Laptop und ein Mikrofon. Mehr brauchen sie nicht. Zwei Stecker rein, fertig. Was zur Hölle ist Soundcheck? Transportieren müssen sie nur den Laptop, das Mikrofon stellen die Veranstalter. Hinter diesem verschanzt sich Jason Williamson und raunzt unentwegt hinein. Mit geschlossenen Augen, einer fast schon cockeresken (Anm.: von Joe Cocker) Motorik und Mimik. Die Faszination liegt im Detail. Alleine sein Haarschnitt ist reine Verweigerung. Voller Abscheu und Hass sprudeln die Wörter in teils irrwitzigem Tempo aus seinem Mund. Williamson steigert sich immer mehr hinein. Die Adern an Hals und Stirn schwellen an. Als man denkt, sein Kopf müsse doch bald platzen, steigert Williamson nochmals die Intensität. Hat er seine Tiraden beendet, tritt er öfters einen Schritt zurück. Mitunter keift er dann noch ein letztes "Fuck Off" in Richtung des Mikros. Ein ums andere Mal meint man, dass er am liebsten ins Mikro beißen will, so sehr ist sein hasserfüllter Blick darauf gerichtet. Sein Aktionsradius ist eng und erfährt seinen Höhepunkt, als er zum gesprochenen Intro zu "Urine Mate" unruhig und rastlos sieben bis acht Mal im Kreis rund um den Mikroständer schlendert. Ein-, zweimal wandert er auch die anderthalb Meter zum Bühnenrand, schiebt die Zunge unter die Unterlippe und drückt diese nach vorne. So wirft er kurz einen Blick ins Publikum, schlendert zurück zum Mikro und raunzt wieder Tirade um Tirade hinein.

Wer nun schon glaubt, das wäre Verweigerung an Stage-Acting gewesen, der muss sich nur Andrew Fearn ansehen. Während Williamson noch einigermaßen passable Schuhe aufweisen kann, in denen allerdings abscheulich bunte Ringelsöckchen unter der viel zu kurzen Hose hervorlugen, gibt sich Fearn ganz dem Schlamper-Look hin. Turnschuhe, Trainingshose, ein poppiges T-Shirt und eine Baseball-Cap, dazu ein mangelhaft gepflegter Drei-Tage-Bart. So steht er da und macht einfach nichts. Nun gut, er bedient die Start- und Stop-Taste am Laptop. Dazu wippt er zum Beat, singt die ein oder andere Textzeile mit, kippt ein Bier nach dem anderen und zieht immer mal wieder an seiner Elektro-Zigarette. Eine Hand hat er stets in der Hosentasche. Welche, hängt davon ab, ob er mit rechts oder links die Bierflasche hält. Manchmal macht er auch Bilder vom Publikum mit seinem Smartphone. Das wars. So bringt er Minute um Minute des Sets hinter sich. Der Höhepunkt seiner Performance: Als er kein Bier mehr hat, schickt er jemanden aus dem Publikum, ein neues zu holen. Als hätte er nicht selbst genug Zeit, das zu tun. Aber dann hätte er die Bühne verlassen müssen, auf der er wie angenagelt auf einem Fleck steht. Mit einem Aktionsradius, der die Größe eines Bierdeckels aufweist. Dass er sich vorbeugt und mit dem Bierlieferanten zum Dank anstößt, ist dann nur Freundlichkeit. Ein kurzer Moment, in dem er aus seinem Schema ausbricht.

Die Ausnahmen an diesem Abend verdeutlichen die Regel: Mehr Verweigerung geht kaum, mehr Minimalismus auch nicht. Was die Sleaford Mods machen, ist aktuell einzigartig. Das hier ist Punk. Ehrlich. FUCK OFF!

Joachim Frommherz