Konzertbericht

King Crimson


Ein schwieriger Aspekt in der Musik ist es ja gemeinhin, mit seinem eigenen Werk in Würde zu altern. Man kann den Weg vieler betagter Künstler gehen – und auch mit 60+ noch so tun, als wäre man Mitte zwanzig. Die Beispiele kennt jeder – die fast schon zur Karikatur gewordenen Rolling Stones, oder auch Iggy Pop oder AC/DC. Ein vielgehörter Satz von Fans dieser Gruppen lautet ja: Nach 197x kam nix Interessantes in der Musik mehr. Passend dazu ergab neulich eine Studie im Auftrag eines großen Streamingdienstes, dass man im Durchschnitt mit 31 aufhöre, neue Musik zu entdecken.

Völlig aus diesem Schema fallen King Crimson. Wohl auch, weil sie schon immer aus der Zeit gefallen sind. Die Band um Robert Fripp begeht gerade ihr 50. Bandjubiläum – fast genauso alt ist das Debüt "In The Court Of The Crimson King". Retrospektiv kaum vorstellbar, dass die Beteiligten beim Release dieser Platte erst Anfang 20 waren. Danach jedoch blieben Robert Fripp und Co. nicht bei einem Sound, sondern begleiteten den Verlauf der Musikgeschichte mit ihren eigenen Interpretationen. Stets höflich und dabei dezent im Hintergrund – anders beispielsweise die Kollegen um Pink Floyd, die im Bombast ertranken.

Als Location für das runde Jubiläum dient drei Abende am Stück der gediegene Berliner Admiralspalast. Hat man sich in einem der edlen Stoffsitze niedergelassen, fällt der Blick sofort gen Bühnenbild: Es gibt keines, außer einem beachtlichen Arsenal an Instrumenten, darunter drei Schlagzeuge – und großen Hinweisen, bitte das Benutzen von Aufnahmegeräten und Kameras zu unterlassen. Einzig die Musik soll an diesem Abend – der sehr lange andauern wird – im Vordergrund stehen.

Eine Pause ist zwischen den beiden Sets des Abends angesetzt, wohl zum Wohle der älteren Damen und Herren auf und vor der Bühne, mag man als jemand, der den Altersschnitt merklich drückt, spöttisch denken. 75 Minuten später ist man eines Besseren belehrt: Gut, dass es eine Pause gibt. Bereits im ersten Set spielen King Crimson die Rockmusik komplett durch. Angefangen vom "Intro", welches direkt einmal mit einem Zusammenspiel der drei Schlagzeuger startet und in "Neurotica" mündet. Der Abend ist als Best-Of-Sammlung gestaltet, wobei King Crimson auf "21st Century Schizoid Man", ihr bekanntestes Stück, an diesem dritten Livetag verzichten werden. Passender erscheint der Begriff "Werkschau". Die acht Herren auf der Bühne zeigen, dass Virtuosität bei ihnen keine Frage des Alters ist und konstruieren Schicht um Schicht, Stück um Stück zusammen.

Der zwischen klassischem, wenngleich etwas aufgeblasenem Rock mit klaren Songstrukturen und Mustern und Ausflügen in Jazzgefilde schwankende Sound ist dabei so intensiv, so fordernd, dass es teilweise nur fünf Minuten gelingt, das gerade Gehörte im Kopf zu behalten, bis es von einer neuen Reizüberflutung verdrängt wird. Wer sich im Werk der Band nur mäßig auskennt, wird an einigen Stellen Live-Jams vermuten, da es unmöglich scheint, sich diese Noten für ein zweites Mal zu merken. Andererseits spielen die drei Drummer parallel und der Sitznachbar klopft jeden Takt auf seinem Knie mit. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass King Crimson nach einem Prinzip arbeiten, welches bereits die Kunst revolutionierte, als Künstler anfingen, Bilder zu schaffen, auf denen jeder Punkt, jeder Strich gleichberechtigt ist.

Der Kopf hinter der Band mag Robert Fripp sein, zentrales musikalisches Element auf der Bühne ist er nicht. Er steht hinten rechts, versteckt hinter dem großen Schlagzeug Gavin Harrisons und widmet sich seinen Gitarrenmelodien. Während man kurz den Blick – und auch das Gehör – auf diese Seite schwenkt, kann es sein, dass es mittig oder links schon wieder völlig variiert. Allein die Kracher "Discipline" und "Indiscipline" im ersten Set sorgen bereits für reißenden, stehenden Beifall während der Show.

Dieser Abend eignet sich zudem wunderbar, die Rockmusik rückwärts zu erschließen. Als Spätgeborener kennt man ja zunächst aktuelle Werke – und muss im Laufe der Zeit erkennen, dass einige Strömungen schon uralt sind (vgl. Postrock und "Islands", oder das stetige Wiederholen von Songmustern durch Swans) und King Crimson schon immer da waren, wo andere erst hinkommen.

Nach der erholsamen Pause nun, wenn man der permanenten Eindrucksüberflutung etwas Herr geworden ist, steht ein zweites Set an, in dem mit "Epitaph", "Islands", "Meltdown" und Teilen von "Easy Money" gefühlt mehr Gesangs- und Balladenlastiges Material gespielt wird. Doch der schwelgerische Schein trügt, allein das brachiale Ende von "Level Five" zeigt, dass dieses Level wohl das höchste ist, was die Rockmusik zu bieten hat – und King Crimson sind der Endgegner. Drei Stunden nach Konzertbeginn beschließt das wunderschöne "Starless" den Abend – ein besseres Stück hätte es dafür nicht geben können – passend dazu wird die Bühne in ein tiefrotes Licht gehüllt, welches sich wie ein Vorhang über die letzten Töne legt.

Klaus Porst