Konzertbericht

Keaton Henson


Für das einzige Keaton-Henson-Konzert in Deutschland kann man gar nicht früh genug sein. Anstehen muss man trotzdem. Im dunklen Regen Kreuzbergs an diesem 26. Oktober kann man sich so jedoch schon in verhangene Stimmung bringen für den britischen Musiker, der so schön jammert wie sonst niemand.

"Yesterday Ren was wearing a Jumper I could make fun of. Today he's properly dressed, so I can't say anything funny about that." Ja, es ist wahr: Henson macht Witze über die Garderobe seines heute in Hemd, Krawatte und Blazer gekleideten Mitmusikers. Das darf einen durchaus verwundern. Henson spricht weder gerne noch viel, zumindest betont er dies stets. Aber jemand, der das Image des empfindsamen und an der Welt leidenden Romantikers so einwandfrei ausfüllt, muss auch mal lustig sein dürfen. Und das ist Henson – wer hätte es gedacht?

Sein Cellist Ren Ford quittiert den Kommentar zu seinem gestrigen Outfit mit einem Lächeln und sieht sowieso den gesamten Abend aus wie ein Honigkuchenpferd. Neben dem schwarz gekleideten Henson ist das aber auch gar nicht so schwer. Dieser wirkt mitunter so zerbrechlich, als würde er Gefahr laufen, seine schwere Mähne im nächsten Moment nicht mehr tragen zu können. Immer wieder schaut er bedeutungsvoll an die Decke der Berliner Passionskirche, seufzt so tief, dass der Hall seines Atems den gesamten Raum ausfüllt und trägt seine Stücke dermaßen eindringlich vor, dass sämtliche Besucher dieses Konzerts die Luft anhalten. Es ist so wahnsinnig still in den Kirchenbänken, wie es sich ein Prediger während eines Gottesdienstes vermutlich immer wünschen würde.

Zwischen den bunt verzierten Fenstern und den schweren Säulen herrscht während des Konzerts Ehrfurcht, ob es nun an der Location liegt, die phantastisch zu Hensons Musik passt, oder daran, dass man Keaton Henson ähnlich begegnet wie einem seltenen Tier, das nur alle Jubeljahre mal einem Naturfotografen vor die Linse springt. Dieses ist Hensons bis dato einziges Deutschlandkonzert, natürlich war es sofort ausverkauft. Die Anfahrtswege der Besucher sind teilweise beachtlich.


Foto-Credit: [PIAS]

Dafür erfüllt Henson aber auch jede Erwartung, spielt alte und neue Songs, streut immer wieder Instrumentalstücke ein und beeindruckt. Erstens nämlich ist es erstaunlich, wie dieser zierliche Mann mit der brüchigen Stimme es schafft, mit so wenig Instrumentierung eine derart dichte Atmosphäre zu erschaffen. Zweitens ist es bemerkenswert, dass Henson von so viel bedeutungsschwangeren Dingen erzählt und dennoch niemals Richtung "Kitsch" abrutscht – selbst als er (wie könnte es in einer Kirche auch anders sein?) als Zugabe "Halleluja" vorträgt. Henson ist, und das ist eine Überraschung des Abends, souverän und weder ängstlich noch schüchtern.

Der Opening Act, Hanna Leess, passt unerwartet gut in die ganze Geschichte. Sie macht ihre Sache gekonnt, akustisch und mit gewohnter Coolness. Dennoch ist Henson die absolute Attraktion des Abends. Für genau diese Erkenntnis müsste er diesen Text wahrscheinlich hassen und, wenn man ihn richtig verstanden hat, alleine schon den Begriff "Attraktion" verabscheuen. Als der Applaus nach der Zugabe nicht verhallen will, kommt Henson noch einmal flüchtig auf die Bühne und bedankt sich mit tiefer, klassischer Verbeugung. Wahrscheinlich hat er dabei tief geseufzt.

Silvia Silko