Konzertbericht
Kaizers Orchestra
Eigentlich sind 28 Euro ja eine Menge Geld. Für 28 Euro muss sich eine Lidl-Kassiererin um die vier Stunden lang am Arbeitsplatz von ihren Vorgesetzen beobachten lassen, für 28 Euro bekommt man zwei aktuelle CDs, sieben Schachteln Zigaretten oder schätzungsweise drei Liter mit Biokraftstoffen angereichertes Superbenzin. Für 28 Euro die – laut Aussagen vieler Fans, der Presse und auch der Band selbst – beste Liveband der Welt anschauen zu dürfen, erscheint jedoch wiederum als ein recht fairer Deal – immerhin muss den Norwegern ja auch die psychische Belastung ausbezahlt werden, diesem Ruf gerecht zu werden, der sie sich 2008 wieder einmal im Hamburger Übel & Gefährlich stellen.
Die ähnlich undankbare Aufgabe, Kaizers Orchestra zu supporten, fällt jedoch davor einem gewissen Geoff Berner zu, der aufgrund seiner Skurrilität auf jeden Fall schon mal eines zweifelsohne ist: Polarisierend. Man stelle sich eine kanadische Mischung aus Olli Schulz und Heinz Strunk vor, die jedoch statt Akustikgitarre oder Saxofon ein Akkordeon spielt. Da Berner dieses jedoch spärlich (gerne aber mal zur bloßen Lärm- statt Melodieerzeugung) einsetzt, wirkt er eher wie ein geisteskranker Geschichtenerzähler als wie ein Songwriter. Beispiel genug sollte seine Hymne für die Winterolympiade 2010 in Vancouver sein, die erzählt, wie die kanadische Regierung zur Finanzierung der Olympiade das Amt zur Aufklärung ungeklärter Kindesmorde schließen musste. Der Refrain des Liedes: Ein fröhliches The dead, dead children were worth it, the dead, dead children were worth it – The Vancouver Whistler Olympic Games.
Dass es auch bei Kaizers Orchestra nicht komplett ohne bizarre Elemente vonstatten geht, erklärt sich von selbst: Schließlich eilt der Band nicht nur ein allgemeiner Ruf als Live-Macht voraus, auch gewisse Aspekte ihrer Selbstpräsentation auf der Bühne haben sich herum gesprochen, und so ist es wenig überraschend, als Keyboarder Helge Risa, dessen Bühnenname nicht zu Unrecht "Omen Kaizer" lautet, eine Gasmaske tragend die Bühne betritt. Auch das vielsagende Ölfass ist natürlich bereits im vorderen Bereich der Bühne positioniert, als Kaizers Orchestra ihr Set mit dem Titeltrack ihres neuen Albums "Maskineri" beginnen.
Bereits während diesem Opener und dem darauf folgenden "Bastard Sonn" stellen die sechs Norweger einiges unter Beweis. Erstens: Wer wohl klingende Percussioninstrumente sucht, braucht keine teuren Fachgeschäfte aufzusuchen, sondern nur die nächste Müllhalde zu plündern. So ergeben mit Brecheisen bearbeitete Autofelgen nicht nur auf Platte, sondern auch live einen herrlichen blechernen Sound, und auch dem bereits erwähnten Ölfass können Gitarrist und Frontmann herrliche Töne entlocken – letzteres sogar, wenn der jeweils andere der beiden noch auf dem Fass steht.
Zweitens: Janove Ottesen dürfte der beste Frontmann Norwegens sein. In ihm verbindet sich die gewisse Arroganz, die sich sonst eher bei Bands aus dem skandinavischen Nachbarland Schweden beobachten lässt, mit einer jovialen Schelmischkeit, die ihn zugleich cool und liebenswürdig macht. Insofern kann man ihm auch jegliche Mätzchen nicht übel nehmen, die im Fachjargon auch als "Animierscheiße" behandelt werden: Das Publikum zum Mitklatschen auffordern, vor Ende des regulären Sets die Bandmitglieder vorstellen, die sich dann mit stolz posenden Soloeinlagen präsentieren, und schließlich der Meute mitteilen, dass Kaizers Orchestra nach Hamburg gekommen seien, um Hamburg zu entertainen.
Dass sie Hamburg jedoch in der Tat äußerst erfolgreich entertainen, kann kaum abgestritten werden: Besonders während der von Ottesen als danceable songs angekündigten Stücke wie "Delikatessen" feiern die normalerweise gerne bewegungsfaulen Hanseaten, von denen viele zudem ihre Kaizers-Entjungferung erleben (was sich aus einer Umfrage Ottesens zu Beginn des Konzerts erschließt), die Norweger ab - auch wenn während der gemäßigteren Stücke wie der ersten "Maskineri"-Single "Enden Av November" naturgemäß etwas Ruhe einkehrt, kann nicht abgestritten werden, dass das Kaizers-Sextett für eine Band, deren Texte wahrscheinlich allerhöchstens 1% ihres deutschen Publikums verstehen, einfach eine gute Partyband ist.
Insofern kann den Veranstaltern kleinerer deutscher Festivals wie Olgas Rock oder Omas Teich gratuliert werden, dass sie mit Kaizers Orchestra einen Headliner gewonnen haben, der neben dem geschmackssicheren Musiknerd wohl auch jene Festivalbesucher in seinen Bann wird ziehen können, die sich im Vorhinein besonders auf alkoholisierten Zeltplatzspaß und "Abgehen" bei den Bands freuen. Ob die Veranstalter die beste Liveband der Welt gewonnen haben? Vielleicht nicht. Aber mit Sicherheit eine, die ihren guten Ruf zu verteidigen weiß.