Konzertbericht

Dinosaur Jr.


Es gibt wohl kaum einen musikinteressierten Menschen, der sich nicht irgendeine aufgelöste Band zurück in die Clubs der großen, weiten Musikwelt wünscht. Eine Band, die sich mit Sicherheit sehr viele zurückgewünscht haben, sind Dinosaur Jr. 1983 gegründet, kam es sechs Jahre und drei Alben später wegen Unstimmigkeiten zwischen Frontmann Nummer eins J Mascis (Gitarre, Gesang) und Frontmann Nummer zwei Lou Barlow (Bass, Gesang) zum Split. Trotzdem lebte die Band in zwei Folgeprojekten weiter. Durch J Mascis zunächst weiterhin unter dem Namen Dinosaur Jr, später unter J Mascis And The Fog, beziehungsweise J Mascis And Friends. Durch Lou Barlow mit seiner Band Sebadoh. Beide veröffentlichten in den Folgejahren weiterhin sehr gute Alben, und trotzdem kam es 2005 zur Überraschung. Dinosaur Jr wurde für das Zwillingsfestival Southside/Hurricane bestätigt, seit 16 Jahren zum ersten Mal im ursprünglichen Line Up.

Soviel zur Geschichte. Wir befinden uns im Jahr 2006, Dinosaur Jr spielt nach wie vor in der Urbesetzung und kommt sogar für eine kleine Clubtour nach Deutschland. Leider wurden erstmal nur zwei Konzerte angesetzt, eines davon in Bremen, eines in Dresden. Da wir lange genug auf ein Konzert dieser Band gewartet haben, nehmen wir die 350 km nach Dresden natürlich gerne auf uns. Nach einer kurzen Sightseeing-Tour und der Suche nach der goldenen Kuppel auf der Semperoper, die, wie sich herausgestellt hat, überhaupt keine goldene Kuppel hat, begeben wir uns in den Star Club. Als die Bandmitglieder kurz vor 23 Uhr die Bühne betreten, ist der Club gerade angenehm voll, und wir freuen uns auf das Konzert.

Da stehen sie jetzt also vor uns auf der Bühne. Emmett Patrick Murphy, besser bekannt als Murph, am Schlagzeug, Lou Barlow, der schwitzt wie Robert Hays in "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug", und trotzdem eine ganze Ecke jünger aussieht als er in Wirklichkeit ist, am Bass, und J Mascis an der Gitarre, dessen Finger schneller über das Griffbrett flitzen als David Odonkor über den Fußballplatz. Über die einzelnen Lieder muss man nicht viele Worte verlieren. Klar wird überwiegend das wohl bekannteste Album "You're Living All Over Me" gespielt, ebenso wie die Lieder "Forget The Swan" vom Debüt "Dinosaur" oder der vermeintliche Hit "Freak Scene" vom Album "Bug". Aber im Prinzip ist es egal, welche Songs auf der Setlist stehen, viel wichtiger ist, welchen unglaublichen Sound diese drei Musiker in den Club zaubern.

Der Aufbau der Songs ist im Prinzip immer der gleiche. Die Rhythmusfraktion um Lou und Murph spielt so fett, dass jede Föhnfrisur in Deckung gehen sollte. J, Kopf nach unten und mit seinen Haaren in Headbangerpose, nudelt dazu auf der Gitarre. Es ist schon bemerkenswert, dass seine Solos nie anfangen zu nerven, obwohl sie manchmal wirklich minutenlang sind. Stattdessen ist man als Zuschauer irgendwo zwischen Verwunderung und Neid gefangen, leuchtende Augen, verstörter Blick inklusive. Irgendwann bewegt sich J langsam, aber sicher, Richtung Mikrofon, betätigt eines seiner Effektpedale und zockt ein paar Riffs heraus, für die andere Gitarristen morden würden. Dazu der verzweifelte, flehende Gesang, der nahezu von seinem Gitarrensound erdrückt wird. Die Augen hat er fast durchgehend geschlossen, der Oberkörper wippt im immergleichen Tempo hin und her. Erst nach fünf oder sechs Liedern singt J das erste Mal kurz mit offenen Augen. Darauf folgt ein kurzes "Thank you for coming" und das Konzert geht weiter. Lou ist da schon wesentlich extrovertierter. Seine an einer Hand abzählbaren Ansagen beschränken sich zwar auch auf einzelne Sätze, aber man hat das Gefühl, einen normalen Menschen vor sich zu haben, er springt umher und scheint vor Energie fast zu explodieren. J dagegen wirkt komplett in sich und in der Musik versunken und wechselt immer schön zwischen seinen zwei Posen hin und her. Wenn er singt, wippt er gemächlich im Takt der Musik, bei Solos geht er zur schon angesprochenen Headbangerpose über. Und wie heißt es bei Murph immer so schön: "Murph war einfach nur Murph" oder so ähnlich.

Es kommt ja wirklich selten vor, dass man nach 75 Minuten Nettospielzeit das Gefühl hat, ein Konzert sei lang genug gewesen. Eigentlich kommt so etwas überhaupt nicht vor. Bei Dinosaur Jr ist das anders. In dieser Musik steckt soviel Kraft und Energie wie nur bei wenigen anderen Bands, in jedem einzelnen Gitarrenriff, in jeder Note. Und dann ganz, ganz tief im Inneren stößt man auf diese tollen Melodien, die einen nicht mehr in Ruhe lassen wollen. Sie dringen ein in den Körper, in die Ohren, in die Beine, in den Kopf, in den Bauch und als die Band die Bühne und uns verlässt, sind die Songs immer noch da. Und sie gehen auch noch lange nicht weg, sondern verfolgen uns bis tief in die Nacht und in die nächsten Tage. Wie singt J in "Sludgefeast" so schön: I'm waiting, please come back. Hoffen wir, dass uns diese Band noch lange erhalten bleibt.

Matthias Kümpflein