Konzertbericht

Die Toten Hosen


Es mag Zufall sein, dass Die Toten Hosen ausgerechnet 2010 ein Auswärtsspiel in Istanbul geben – in jenem Jahr, in dem die Millionenmetropole neben dem Ruhrgebiet und Pécs in Ungarn "Europäische Kulturhauptstadt 2010" ist. Doch wie kaum eine andere Band verkörpern Die Toten Hosen das Image als kulturelle Botschafter. Unmittelbar zuvor haben sie in Kasachstan gespielt, Usbekistan gerockt und die tadschikischen Sittenwächter zur Verzweiflung getrieben – Länder, die die meisten deutschsprachigen Bands bestenfalls auf der Landkarte, nicht aber in ihren Tourplänen (wieder-)finden würden.

Für Die Toten Hosen lautet die Mission auf ihrem Ausflug nach Zentralasien und in den Nahen Osten "kultureller Austausch". Doch wie soll das gelingen, wenn vor der Istanbuler Bühne fast nur Deutsche auf ihre Lieblingsband warten – stilecht gekleidet in Fortuna-Düsseldorf-Trikots und DTH-Shirts? So wird aus dem Auswärtsspiel doch wieder ein Heimspiel, wobei einige der Fans bereits mit der Band den Trip in die ehemaligen sowjetischen Länder bestritten haben.

Als die Altmeister schließlich die kleine Bühne des "Bronx Pi Sahne" betreten, ergibt sich ein surreales Bild: Eine der größten deutschen Bands, die normalerweise Headliner von Rock am Ring ist, spielt in einer Location, die gut und gerne als schicker Jugendclub durchgehen könnte. In einer Stadt, in der unvorstellbare 15 Millionen Menschen leben, wirken die 300 Zuschauer im Herzen des pulsierenden Viertels Taksim nahezu verloren. Das kann nostalgisch machen und alte Zeiten aufleben lassen – aber es kann auch inspirieren. Trotz der deutschsprachigen Überlegenheit an diesem Abend gibt sich Campino redlich Mühe, einige seiner Ansagen auf Türkisch zum Besten zu geben. So ganz unfallfrei klappt das zwar nicht, aber nach dem dritten Bier sprechen die Rockfans weltweit sowieso nur eine Sprache: Die heißt "Tanzen".

An Tanzbarem hat die Setlist jede Menge zu bieten. Einige jüngere Songs, Klassiker wie "Schön Sein", "Paradies" und "Hier Kommt Alex", aber auch starke Cover wie "Song 2" von Blur. Bei "10 Kleine Jägermeister" kann Campino dann selbst mal Luft holen und in die Menge lächeln – sein Publikum nimmt ihm die Gesangsarbeit dankend ab.

Starallüren kennen Die Toten Hosen auch nach Millionen verkauften Alben keine. Wie immer sucht die Band den Kontakt zum Publikum. Ein Fan darf auf die Bühne, um "Azurro" mitzugröhlen, und irgendwann stürzt sich der verschwitzte Campino mit nacktem Oberkörper auf das Publikum, um sich von der spärlichen Masse durch den Raum tragen zu lassen. Spätestens jetzt wird klar: Das ist ganz real und die Jungs sind dieselben wie vor 25 Jahren im Jugendzentrum Essen und in der Freizeitstätte Düsseldorf.

Auch die Fußball-Leidenschaft ist noch immer da. Ein Dank an die Stadt Istanbul, in der der FC Liverpool 2005 die Champions League gewann, darf nicht fehlen. Den Abschluss des Konzerts bildet folgerichtig die ewige Fußballhymne "You'll Never Walk Alone" – hunderte Zuschauer singen inbrünstig mit und zollen so der Band und irgendwie auch sich selbst Respekt. Allein geht an diesem Abend keiner nach Hause – und das ist ja auch eine Form "kulturellen Austauschs".

Photo by Mischa Karth.

Mischa Karth